Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Fehler zu machen, ebenso wenig, wie sie je etwas definitiv richtig machen wird.
Nicht einmal von Sackgassen der Evolution kann die Rede sein. Es ist alles eine Frage der Sichtweise. Arten sterben aus, gut, aber spielt es wirklich eine Rolle, wie lange sie gelebt haben? Ist es von Relevanz, dass die Saurier 65 Millionen Jahre durchgehalten haben und Homo sapiens neanderthalensis nach 100.000 Jahren den Löffel abgeben musste? Ist nicht vielmehr entscheidend, dass er, sie oder es überhaupt hat entstehen können und den Lauf der Welt ein Weilchen mitprägen durfte? Eines fernen Tages wird die Erde in die Sonne stürzen, die übrigens auch eine dicke Rote Königin ist. Die unbelebte Natur hat dann gesiegt. Oder auch nicht. Bis dahin kann es durchaus geschehen sein, dass wir die interstellare Raumfahrt beherrschen und uns Nischen in anderen Galaxien suchen, fremde Planeten in Besitz nehmen und uns mit den dortigen Roten Königinnen kloppen, was diese in arge Bedrängnis bringen dürfte. Denn, nebenbei bemerkt, auch wir sind Rote Königinnen.
Jedenfalls war der Wettlauf im Proterozoikum nur durchzuhalten, wenn Arten eine möglichst breite genetische Diversität entwickelten- und hier erschließt sich nun der Sinn von Sex. Zugegeben, er ist schweißtreibend, oft frustrierend, mitunter brutal, man investiert Zeit, Energie und teure Abendessen, aber als Verfahren, Gene zu mischen, eignet er sich ganz vorzüglich. Defekte im Erbmaterial werden nicht — wie bei der Zellteilung — eins zu eins weitergegeben, sondern im ständigen Mix aussortiert. Von Generation zu Generation ändert sich das genetische und molekulare Profil. Je schneller und konsequenter dies geschieht, desto schwerer wird es für Parasiten und Erreger, ein Individuum oder eine ganze Population auszulöschen. Sex zielt auf Diversifizierung ab, auf eine effizientere Nutzung von Umwelt und Ressourcen, da nicht alle Individuen um die gleichen Nischen kämpfen müssen, sondern unterschiedlichen Ansprüchen folgen, und weil zudem nicht alle gleich aussehen, kann man von den schönen blauen Augen des einen schwärmen und die braunen des anderen doof finden — oder umgekehrt.
Heute praktizieren 99,9 Prozent aller nichtpflanzlichen Wesen Sex. Zwar kann man ernsthaft fragen, warum Frauen es nicht halten wie Blattläuse, die sich selbst schwängern. Sie könnten sich auch teilen wie das Rädertierchen, das seit 40 Millionen Jahren ganz prima ohne Sex auskommt — behauptet es jedenfalls. Andererseits war noch kein Rädertierchen je Mister Universum oder auf der Titelseite des Playboy. Geben wir’s zu: Sex hat viele Vorzüge, ohne ihn wäre unser Dasein ganz schön öde. Eingeschlechtliche und ungeschlechtliche Befruchtung sind die Alternativen, sonderlich aufregend lebt sich’s damit nicht. Was dabei rauskommt, sieht man ja: identische Wesen, denen im Rennen gegen die Rote Königin irgendwann die genetische Puste ausgeht. Darum hat die Evolution zwei Geschlechter erschaffen, die immer wieder aufs Neue ihre Gene mischen und einander ihre Eigenschaften übertragen, um sie zu etwas Neuem und Besserem zu kombinieren, und darum können auch Männer nicht rückwärts einparken und auch Frauen nicht zuhören.
Eukaryonten erwiesen sich, nachdem sie erst mal in Symbiose mit Bakterien getreten waren, als fortschrittliche Spezies und würdig, dem Vielzeller in den Sattel der Geschichte zu verhelfen. Die Bakterien in ihren Körpern wandelten sich zu Mitochondrien, chemischen Fabriken, die bis heute in den Zellen von Tieren, Pilzen und Pflanzen wirken und Sauerstoff, Zucker und Fette in Energie umwandeln.
Viele der damaligen Einzeller waren erstaunlich mobil. Manche hatten eine Art Eiweißskelett in ihrem Inneren aufgebaut und konnten sich durch Kontraktion selbstständig bewegen. Dazu dienten ihnen die Eiweiße Actin und Myosin, die in ähnlicher Form in menschlicher Muskelmasse zu finden sind. Andere besaßen Geißeln, die sie wie winzige Propeller drehen konnten. Die Evolution probierte eine ganze Reihe von Antriebssystemen aus, die auch und gerade den Vielzellern zugute kommen sollten. Denn deren Auftritt stand nun unmittelbar bevor.
Wie mögen sie ausgesehen haben, die allerersten Vielzeller?
Ich fürchte, nicht sonderlich aufregend. Wahrscheinlich irgendwie länglich. Als Kolonien von Eukaryonten zogen sie durchs Meer, was ihnen verschiedene Vorteile brachte. Zum einen bot Größe Schutz vor Fressfeinden, die sich an dem Riesenbrocken nicht ihren Mikrobenmagen
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