Nachrichten aus einem unbekannten Universum
versteiften den Rumpf des Ichthyosaurus, sodass wenige Schläge der Schwanzflosse ausreichten, um ihn mit hoher Geschwindigkeit nach vorne zu katapultieren, während die Vorderflossen zur Steuerung dienten. Da niemand seinem Abendessen gerne stundenlang hinterherschwimmt, es andererseits nicht immer zur Stelle ist, wenn man zu speisen wünscht, war die schnelle, Energie sparende Fortbewegungsweise für die Meeresechsen überlebenswichtig. Aus diesem Grund verwendete Miss Evolution viel Liebe auf die Schwanzflosse, gab ihr die typisch ergonomische Sichelform, wie auch Haie sie haben, und spendierte obendrauf noch eine spitze Rückenfinne.
Von ferne erinnerten die Fischechsen an Flipper, den nassforschen Freund aller Kinder, nur dass die Schwanzflosse senkrecht stand. Allerdings würde niemand freiwillig sein Kind in Gewässern baden lassen, die von Ichthyosauriern bewohnt werden. Das bislang größte Exemplar wurde 1991 in British Columbia entdeckt, maß 23 Meter und hätte kleine Kinder zum Nachtisch verspeist. Doch es gab auch handlichere Exemplare. Sie alle wiesen sich durch dieselbe stromlinienförmige Silhouette aus und waren nach den Umbauarbeiten nicht mehr in der Lage, ihre Großeltern auf dem Land zu besuchen. Ergo konnten sie dort keine Eier mehr ablegen und von der Sonne ausbrüten lassen, weshalb sie ihren Nachwuchs lebend zur Welt brachten — er schlüpfte bereits im Mutterleib.
Nie wieder haben sich Echsen der Unterwasserwelt so kongenial angepasst wie die Ichthyosaurier. Im Grunde war ihr Dasein das von Fischen, jedoch mit einem wesentlichen Unterschied: Ichthyosaurier waren Lungenatmer. Den Satz »Ich geh’ mal Luft schnappen« haben nicht die späteren Wale geprägt, sondern die Meeresechsen, die zwischen Extremen lebten, weil sie einerseits an die Oberfläche gebunden waren, andererseits ihre Leibspeise, Ammoniten und Belemniten, im Tiefen fanden. Ebenso wie Wale liebten Ichthyosau- rier Kopffüßer, lichtscheues Gesindel, das sich bevorzugt in unteren Wasserschichten aufhielt. Wahrscheinlich haben sie auch Quallen nicht verschmäht. Warum ehemalige Landbewohner Appetit auf Schlabberiges und Glibberiges entwickeln, wird dem Gourmet ein ewiges Rätsel bleiben, dabei ist es ganz einfach zu beantworten. Im Gegensatz zu Fischen müssen sie trinken, und zwar Süßwasser. Bloß, wie trinkt man das im Meer? Der schlaue Lurch weiß Rat. Tintenfische und Quallen bestehen zum allergrößten Teil aus Wasser — und zwar aus Süßwasser. Also wird beim Fressen gleichzeitig getrunken. Prost Mahlzeit.
Im späten Jura tauchten Fischechsen wie der rund eine Tonne schwere Ophthalmosaurus in Tiefen bis 1.500 Meter, wo ihm seine riesigen, höchst lichtempfindlichen Augen zugute kamen. Andererseits fraß er auch Vögel, die nichts Böses ahnend auf den Wellen schaukelten. Wem das komisch vorkommt, dem sei verraten, dass weiße Haie es nicht anders halten mit leichtsinnigem Federvieh. Es gibt wunderbare Filmaufnahmen, die zeigen, wie so ein Vogel Schabernack mit einem großen Weißen treibt. Der Hai taucht auf und schnappt nach der scheinbar arglosen Beute, die im letzten Moment knapp außer Reichweite flattert und sich wieder auf dem Wasser niederlässt. Der Weiße startet einen erneuten Versuch, und der Vogel treibt das gleiche Spielchen. Auf diese Weise sollen Seevögel Haie schon in den Wahnsinn getrieben haben. Allerdings hat es sich für manche Vögel nach ähnlichen Mutproben ausgevö- gelt.
Trias, Jura und Kreide gelten als Zeiten der Saurier, insgesamt knapp 186 Millionen Jahre, in denen Ichthyosaurier, Pliosaurier und Plesiosaurier einander den Ruf abjagen, Herrscher der Meere zu sein. Doch wahre Könige regieren im Verborgenen. Immer noch befinden wir uns im Zeitalter der Bakterien, und selbst die waren nicht vor allen Gewalten sicher. Wenn überhaupt einer herrschte, dann die Natur mit ihren perfiden kleinen Überraschungen wie vor 181 Millionen Jahren.
Werfen wir einen Blick nach Baden-Württemberg.
Wir befinden uns im Jura, der Zeit bis vor 146 Millionen Jahren. Das Ländle liegt unter Wasser, bedeckt von einem durchschnittlich 100 Meter tiefen, warmen Schelfmeer. Von Häusle und Spätzle keine Spur, dafür die silbrigen Leiber dahinflitzender Strahlenflosser auf der Flucht vor einem Dutzend ausschwärmender Ichthyosaurier. Ein Stück weiter hat sich eine Hundertschaft Fische im Schutz eines Riffs versammelt und knabbert Bakterienmatten an, die kunstvoll gebaute, vom Sonnenlicht gefleckte
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