Nachrichten aus einem unbekannten Universum
der Körper über den großen, starren Augen schien ungeschützt. Wer aber in Erwartung nachgebender Gallerte vollmundig reinbeißen wollte, war hinterher reif für den Zahnarzt. Belemniten trugen ihr Skelett im Inneren, eine patronenförmige, knüppelharte Röhre, die als Einziges von dem jurassischen Gummitier erhalten ist.
Beide, Ammoniten wie Belemniten, machen den Geologen viel Freude, weil sie in rauen Mengen gefunden werden. Speziell den Ammoniten hat das großzügige Vorhandensein den Status von Leitfossilien eingetragen. Anhand ihrer Gehäuse kann man das Alter von Gesteinen bestimmen und in weltweite Zusammenhänge bringen. Im Jura schwangen sich die tentakelbewehrten Häuslebauer zu schier unüberschaubarer Artenvielfalt empor, die jeden Lebensraum zu nutzen wusste, solange er nur unter Wasser lag.
Als Taucher im Tethys-Meer wären Sie ihnen fast pausenlos begegnet. In allen Größen und Designs hätten Sie Ammoniten bewundern können, bis ein zufällig des Weges schwimmender Elasmosaurus Sie in mundgerechte Happen zerbissen hätte. Doch für Zeitreisende bleiben solche Tauchgänge ohne Folgen für Leib und Leben, und wir können unbeschadet die jurassischen Tiefen durchstreifen und sogar Hausbesichtigungen vornehmen. Zu Gast bei einem Ammoniten. Wollten Sie das nicht immer schon mal sein?
Dann mal hereinspaziert.
Ein Ammonitenhaus ist ungemein raffiniert gebaut. Im Grunde lebt das Tier nur in der Diele. Oder sagen wir, es bewohnt ein ausgedehntes Wohnzimmer, jedenfalls ausschließlich den ersten, nach vorne offenen Raum, in den es sich bei Bedarf komplett zurückziehen kann. Dahinter erstreckt beziehungsweise windet sich das Phragmokon, der überwiegende Teil des Gehäuses. Es ist in mehrere Kammern unterteilt, von Blutgefäßen durchzogen und mit Gas gefüllt, das dem Gehäuse Auftrieb verleiht.
Um nicht haltlos nach oben zu schießen, waren Ammoniten in der Lage, die Kammern teilweise zu fluten. Sie tarierten sich auf diese Weise aus, bis sie im Meer schwebten. Hatten sie Beute gepackt, wurden sie natürlich schwerer, also bliesen sie einen Teil des Wassers wieder aus und stiegen. Falls Ihnen das bekannt vorkommt: Richtig, genauso funktionieren U-Boote. Die Ammoniten waren die Unterseeboote des Mesozoikums. Das Verhältnis Gas und Wasser im Phragmokon ließ sich nuanciert der jeweiligen Wassertiefe und allen gewichtsverändernden Umständen anpassen. Zudem hatte die Aufteilung in viele geschlossene Kammern einen weiteren Vorteil. Haie, Ichthyosaurier und sonstige Räuber pflegten alles anzuknabbern, was ihre Kiefer packen konnten. Teile des Gehäuses gingen dabei mitunter zu Bruch, das Tier wurde leichter, trotzdem blieb der Auftriebsapparat intakt. Davon profitierten vor allem kleinere Ammoniten, die ihre Nahrung dicht über dem Meeresgrund aufspürten und dabei schon mal einem hungrigen Krebs zwischen die Scheren gerieten. Denn Krebse hatten im Jura Hochkonjunktur. Ebenso wie Ammoniten brachten sie ständig neue Arten hervor, die böse zwicken und beißen konnten.
Und wie vermehren sich U-Boote? Weiß es Wolfgang Petersen? Wusste es Jules Verne?
Die Biologie kann es erklären: durch Sex natürlich. U-Boot-Sex.
Der macht uns mit ganz neuen Praktiken vertraut. Wer etwa ein Ammonitenweibchen im Oberen Jura zum Rendezvous begleitet hätte, wäre einen Moment lang verblüfft gewesen. Niemand da. Hat sich das Männchen verspätet? Erst bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass die Begattung in vollem Gange ist, nur treibt es die Dame mit einem Zwerg. Die Wissenschaft spricht von Sexualdimorphismus. Das Männchen als Stichwortgeber der Fortpflanzung hat sich zurückentwickelt, es ist weit kleiner als das Weibchen, geradezu winzig. Die Ehemänner einiger emanzipierter Krakenfrauen bieten gerade mal ein Zwanzigstel der weiblichen Körpergröße auf. Bei manchen Tiefsee-Anglerfischen unserer Tage geht es so weit, dass der kleine Mann sich an seiner Angebeteten festsaugt, genauer gesagt an ihrem Genitalbereich, bis er mit ihr verschmilzt und sogar ihren Blutkreislauf übernimmt. Als Lohn für seine Anhänglichkeit füttert ihn das Weibchen durch und nimmt ihn überallhin mit — es kann nicht anders.
Sollten Männer etwa Schmarotzer sein?
Langsam. Der Vergleich liegt fern, zu unterschiedlich sind die Lebensweisen. Oder können Sie, verehrte Leserin, sich eine heiße Liebesnacht mit einem Typ vorstellen, der Ihnen bis zum Knöchel geht? Die Evolution verkleinert das Männchen immer dann, wenn es nur eine
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