Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Kalkbarrieren überziehen. Auch dort treibt sich eine Gruppe Fischsaurier herum, aber die Tiere haben sich eben erst in 60 Metern Tiefe an einem größeren Kontingent Belemniten gütlich getan und sind nicht in der Stimmung für weitere Köstlichkeiten. Mehrere Haie halten respektvoll Abstand. Sie wirken ratlos und nervös. Einer stößt schließlich auf einen Rochen herab, der mit gemächlichem Flügelschlag dahingleitet und nun Reißaus zu nehmen versucht. Der Hai ist schneller, verliert aber im letzten Moment das Interesse. Glück gehabt. Der Rochen lässt sich auf den Meeresboden sinken, wo sich endlose Muschelbänke zwischen den Riffstrukturen erstrecken. Krebse aller Größen und Arten staksen zwischen den Schalen herum und versuchen, sobald sich eine öffnet, mit den Scheren hineinzulangen. Ein Schlaraffenland, das Ganze. Sicher, das Meer zwischen den Inseln, die später mal zur Europäischen Union zusammenrücken werden, birgt Gefahren, hat dafür aber jedem was zu bieten. Strömungen transportieren Nährstoffe heran, Plankton treibt wolkig im Sonnenlicht und in den tieferen Schichten, es lässt sich leben in Baden-Württemberg.
700 Kilometer östlich, im Tethys-Meer, zur gleichen Zeit. Hier herrschen andere Bedingungen. Der Vorläufer unseres Mittelmeers besitzt zu dieser Zeit noch die Ausmaße eines Ozeans. Wieder mal ist Bewegung in die Erdplatten gekommen. Langsam beginnt Pangäa auseinander zu brechen, der Osten Gondwanas driftet davon, dem zukünftigen Afrika schon sehr ähnlich. Im Norden löst sich Laurasia aus dem Verbund und zerbröckelt an den Rändern. Viele kleine Meere sind entstanden — darunter auch das Ländle —, die alle irgendwie mit dem Muttermeer Tethys verbunden sind.
Dort, in Tausenden von Metern Tiefe, lagern riesige Mengen einer weißlichen Substanz in nachtschwarzen Abyssalen, im Gleichgewicht gehalten von vier Grad kaltem Wasser und gewaltigem Druck: Methanhydrate, biogenes Gas, gefangen in Eiskristallen und komprimiert auf den hundertvierundsechzigsten Teil seiner selbst. Jetzt erleben wir den Zerfall dieser merkwürdigen Substanz. Genau lässt sich nicht sagen, was die Ursache dafür ist. Ein Seebeben vielleicht oder eine Rutschung am nahe gelegenen Kontinentalsockel, ausgelöst durch tektonische Aktivitäten des zerbrechenden Kontinents. Vielleicht ist mit den aufreißenden Landmassen wärmeres Tiefenwasser in die Tethys gelangt. Jedenfalls kommt es auf großer Fläche zum plötzlichen Zusammenbruch der Hydrate. Sie schmelzen nicht, sie blähen sich zu einhundertvierundsechzigfachem Volumen auf! Gewaltige Gasblasen sprengen den Meeresboden, sättigen das Wasser mit Unmengen Schwefelwasserstoff und streben der Oberfläche entgegen. Dabei schluckt die giftige Wolke allen Sauerstoff um sich herum, erfasst die gesamte Wassersäule und kocht die Oberfläche auf. Ein Teil des übel riechenden Gemischs entweicht in die Atmosphäre, vieles aber verteilt sich im umliegenden Meer, wird von der Strömung davongetragen und mitten hinein transportiert ins Gewirr der Inseln und Flachmeere.
Dort sickert die Giftwolke ins Ländle.
Die Auswirkungen sind verheerend.
Man kann den Fischen beim Sterben zusehen, wie ihre Kiemen pumpen, als sie versuchen, dem Wasser Sauerstoff zu entziehen, der nicht länger vorhanden ist. Nach kurzer Zeit treiben unzählige Kadaver im subtropischen Meer, das sich vom Paradies zur Todesfalle gewandelt hat. Weiter breitet sich die Wolke aus. Alles Leben geht zugrunde. Die Ichthyosaurier, auf sauerstoffreiches Wasser weniger angewiesen als Fische, schießen zur Oberfläche in Erwartung frischer Luft, aber das Verderben wartet auch dort. Die Echsen geraten in Panik. Über dem Wasser wabert eine dicke, lebensfeindliche Schicht. Immer wieder durchbrechen die spitzen Schnauzen der Ichthyosaurier die Wellen, ihre Kiefer öffnen sich, auf jede erdenkliche Weise versuchen sie Luft zu schnappen, doch da ist keine Luft mehr, nur ein hochtoxischer Chemiecocktail. Und so ersticken auch die meisten Fischechsen, und die überlebenden verhungern, weil nichts geblieben ist, das man noch fressen könnte.
Baden-Württemberg hat aufgehört zu existieren.
2002 stieß ein Team um den Tübinger Paläontologen Michael Montenari dort eher zufällig auf einen ausgedehnten Friedhof von rund 40 Quadratkilometern. Die Fossilien so vieler Ichthyosaurier kamen zutage, dass sich die Forscher zunächst keinen Reim darauf machen konnten. Elefanten und manche Wale suchen Plätze zum Sterben
Weitere Kostenlose Bücher