Nachrichten aus Mittelerde
eine murmelnde Bewegung, als kündige sich ein Sturm an. Tuor stand am Ufer, und die Sonne loderte wie ein rauchendes Feuer am drohenden Himmel. Es war ihm, als erhebe sich in weiter Ferne eine gewaltige Wogeund rolle auf das Land zu, doch wie verzaubert blieb er an seinen Fleck gebannt, und unbeweglich harrte er aus. Und die Welle rollte auf ihn zu, gekrönt von dunstigen Schatten. Als sie näher herangekommen war, kräuselte sie sich, brach und griff mit weißen Schaumarmen nach vorn. Aber dort, wo sie sich gebrochen hatte, stand, dunkel gegen den aufziehenden Sturm, eine lebendige Gestalt, über die Maßen groß und majestätisch.
Tuor verbeugte sich ehrerbietig, denn ihm war, als stünde er einem mächtigen König gegenüber. Er trug eine prächtige, silbrige Krone, unter der das lange Haar, in der Dunkelheit schimmernd, wie Schaum hervorquoll. Er schlug den grauen Umhang zurück, der ihn wie ein Schleier umwallte, und enthüllte einen funkelnden Mantel, der eng am Leib anlag wie ein Schuppenkleid eines großen Fisches, und ein tiefgrünes Unterkleid, das blitzte und flackerte, als er gemessen an Land schritt. So zeigte sich der Bewohner der Tiefe, den die Noldor Ulmo nennen, der Herr der Wasser, so erschien er bei Vinyamar vor Tuor, dem Sohn Huors aus dem Hause Hador.
Er setzte seinen Fuß nicht auf den Strand, sondern stand bis zu den Knien im grauen Wasser, während er das Wort an Tuor richtete. Der Glanz seiner Augen und der Klang seiner tiefen Stimme schienen aus dem Inneren der Welt zu kommen, und von Furcht überwältigt warf Tuor sich in den Sand nieder.
»Stehe auf, Tuor, Sohn Huors!«, sagte Ulmo. »Fürchte meinen Zorn nicht, obwohl ich dich lange und vergeblich gerufen habe und du, nachdem du endlich aufgebrochen warst, auf der Reise hierher viel Zeit vergeudet hast. Du hättest im Frühjahr hier sein sollen, doch jetzt naht ein bitterer Winter aus dem Lande des Feindes! Du musst lernen, dich zu sputen; den angenehmen Weg, den ich dir bestimmt hatte, kannst du jetzt nicht mehr gehen, denn meine Pläne sind durchkreuzt worden 8 und großes Unheil schleicht durch das Tal des Sirion. Zwischen dir und deinem Ziel lauert bereits ein Heer von Feinden.«
»Was ist mein Ziel, Hoher Herr?«, fragte Tuor.
»Das, welches dein Herz immer gesucht hat«, antwortete Ulmo. »Turgon zu finden und die Verborgene Stadt mit eigenen Augen zu sehen; denn du bist auserkoren, mein Bote zu sein und jene Waffen zu tragen, die ich vor langer Zeit für dich bestimmt habe. Doch jetzt musst du schattengleich die Gefahren durchqueren. Deshalb hülle dich in diesen Umhang und wirf ihn niemals ab, bevor du nicht an das Ziel deiner Reise gelangt bist.«
Tuor schien es, als teile Ulmo seinen Umhang und werfe ihm einen Zipfel zu; als er über ihn fiel, erwies er sich als so groß, dass er sich von Kopf bis Fuß darin einhüllen konnte.
»So sollst du unter meiner Obhut wandeln«, sagte Ulmo. »Doch halte dich nicht länger auf, denn in den Ländern von Anar und in den Feuern Melkors kann ich dich nicht schützen. Willst du meinen Auftrag übernehmen?«
»Ich will, Herr«, antwortete Tuor.
»Dann will ich dir Worte sagen, die du an Turgon weitergeben sollst«, sprach Ulmo. »Doch zunächst will ich dich unterweisen, und du wirst einige Dinge erfahren, von denen kein Mensch weiß, ja, die nicht einmal die Mächtigen der Eldar kennen.« Und Ulmo sprach zu Tuor von der Verhüllung Valinors, der Verbannung der Noldor, von Mandos’ Fluch und dem verborgenen Segensreich. »Merke dir aber«, sagte er, »im Panzer des Schicksals (wie die Kinder der Erde sagen) ist immer eine Lücke und in den Mauern des Verhängnisses eine Bresche, bis zu jenem letzten Punkt, den ihr das Ende nennt. Solange ich lebendig bin, wird es eine geheime Stimme geben, die widerspricht, und ein Licht, das dort leuchtet, wo Finsternis sich ausbreiten will. Wenn ich auch in diesen Tagen des Dunkels dem Willen meiner Brüder, den Herren des Westens, scheinbar zuwiderhandle, so ist dies doch meine Aufgabe, zu der ich berufen wurde, bevor die Welt entstand. Doch das Verhängnislastet schwer, und der Schatten des Feindes wird größer. Ich selbst bin geschwächt und werde in Mittelerde schließlich nur noch ein heimliches Flüstern sein. Die Wasser, die nach Westen fließen, trocknen aus, ihre Quellen sind vergiftet, und meine Macht muss aus dem Lande weichen, denn Elben und Menschen werden durch die Kraft Melkors mir gegenüber blind und taub. Nun geht Mandos’
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