Nachrichten aus Mittelerde
dunkle, leere Halle und auf dem steinernen Thron Turgons sitzend verbrachte er die Nacht. Die Säulen erzitterten unter der wilden Gewalt des Sturmes, in den sich, wie es Tuor schien, Gejammer und wildes Geschrei mischten. Da er erschöpft war, versank er zeitweise in Schlaf, der von vielen unruhigen Träumen heimgesucht wurde, doch nur an einen einzigen konnte er sich erwachend erinnern: das Bild einer Insel, in deren Mitte sich ein steiler Berg erhob. Dahinter ging die Sonne unter, Schatten verbreiteten sich über den Himmel, doch hoch darüber stand ein einzelner Stern mit blendendem Licht.
Nach diesem Traum fiel Tuor in tiefen Schlaf, denn noch bevor die Nacht vorüber war, zog der Sturm weiter und trieb die Wolken in den Osten der Welt. Schließlich erwachte er im grauen Morgenlicht, erhob sich und verließ den Thron. Als erin die schwach erhellte Halle hinabstieg, sah er, dass sie von vielen Seevögeln bevölkert war, die der Sturm hierher verschlagen hatte. Er trat ins Freie, als der Glanz der letzten Sterne im Licht des kommenden Tages verblasste. Er sah, dass in der Nacht die gewaltigen Wellen hoch auf das Land gerollt waren und ihre schaumigen Kämme bis zu den Spitzen der Klippen geworfen hatten. Wasserpflanzen und grober Kies waren sogar auf die Terrassen bis vor die Türen geschleudert worden. An die Mauer gelehnt, blickte Tuor von der untersten Terrasse hinunter und erblickte zwischen Steinen und Tang die Gestalt eines Elben, gekleidet in einen grauen, von Seewasser durchweichten Mantel. Schweigend saß er da und starrte über den verwüsteten Strand auf die langgestreckten Wellenrücken. Ringsum war Stille, und außer dem Rauschen der Brandung war kein Laut zu hören.
Als Tuor dastand und die schweigende graue Gestalt ansah, erinnerte er sich der Worte Ulmos, und wie von selbst kam ihm ein Name auf die Lippen, und er rief mit lauter Stimme:
»Willkommen, Voronwe, ich habe dich erwartet!« 10 Darauf wandte sich der Elbe um, sah auf, und Tuor begegnete dem durchdringenden Blick seiner meergrauen Augen und wusste, dass er einen Noldor vor sich hatte. Furcht und Staunen lagen in diesen Augen, als der Elbe Tuor hoch über sich auf der Mauer stehen sah: in seinen großen Mantel wie in einen Schatten gekleidet, den schimmernden Elben-Harnisch auf der Brust.
Einen Augenblick verharrten sie so, jeder forschte im Gesicht des anderen, und dann verbeugte sich der Elbe tief vor Tuor. »Wer seid Ihr, Herr?«, fragte er. »Lange habe ich mit der unerbitterlichen See gekämpft. Sagt mir also, ob sich, seit ich das feste Land verließ, etwas von Bedeutung ereignet hat. Ist der Schatten besiegt? Ist das Verborgene Volk erschienen?«
»Nein«, erwiderte Tuor. »Der Schatten lastet noch immer auf dem Land, und das Verborgene bleibt verborgen.«
Darauf blickte ihn Voronwe lange schweigend an. »Aber wer seid Ihr?«, fragte er wieder. »Vor vielen Jahren hat mein Volk dieses Land verlassen, und niemand hat seitdem hier gewohnt. Jetzt begreife ich, dass Ihr trotz Eurer Kleidung nicht meinem Volk angehört, wie ich zuerst annahm, sondern dem menschlichen Geschlecht.«
»So ist es«, sagte Tuor. »Und bist du nicht der letzte Seefahrer des letzten Schiffes, das von den Anfurten Círdans nach Westen segelte?«
»Der bin ich«, antwortete der Elbe. »Ich bin Voronwe, Sohn Aranwes. Aber ich verstehe nicht, wie Ihr meinen Namen und mein Schicksal kennen könnt?«
»Weil der Herr der Wasser am Abend zu mir gesprochen hat«, sagte Tuor, »und er sagte, dass er dich vor dem Zorn Osses gerettet habe und dich hierher schicken würde, um Führer zu sein.«
Erschrocken und verwundert rief Voronwe: »Ihr habt mit Ulmo, dem Mächtigen, gesprochen? Dann müssen Euer Ansehen und Eure Bestimmung in der Tat groß sein! Doch wohin soll ich Euch geleiten, Herr? Sicherlich seid Ihr unter den Menschen ein König, und viele werden auf Euren Befehl warten.«
»Nein, ich bin ein entflohener Sklave«, sagte Tuor, »ein Verfemter, einsam in einem ausgestorbenen Land. Doch ich habe eine Botschaft für Turgon, den Verborgenen König. Weißt du, wie ich ihn finden kann?«
»In diesen schlimmen Zeiten sind viele verfemt und versklavt, denen es bei ihrer Geburt nicht bestimmt war«, erwiderte Voronwe. »Ich schätze, dass Ihr zu Recht ein Mächtiger unter den Menschen seid. Doch wäret Ihr auch der Höchste unter ihnen, hättet Ihr doch kein Recht, nach Turgon zu forschen, und Eure Suche wäre vergeblich. Selbst wenn ich Euch bis vor seine Tore
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