Nachruf auf eine Rose
sie haben, zusammen mit zwei Telefonkarten. Vorausgesetzt, Sie sagen uns alles, was wir wissen wollen.»
Bates’ Nicken war kaum wahrnehmbar. «Habe sie nicht mehr gesehen, seit ich hier reingekommen bin – das war vor achtzehn Jahren.» Die tiefe Stimme passte zu seiner mächtigen Gestalt.
«Wissen Sie, was sie seitdem gemacht hat?»
Die wässerigen Augen huschten zu Nightingale hinüber, bevor sein Blick sich wieder auf Fenwick heftete. Er wusste etwas und versuchte den Wert seines Wissens abzuschätzen.
«Was hat das kleine Flittchen nun wieder angestellt, hm?»
«Hat sie denn früher etwas angestellt?»
«Genug. Die hatte doch ständig Ärger.»
Fenwick wartete, dass Bates fortfuhr.
«Hab ein bisschen was gehört von Leuten, die zum Gottesdienst gehen. Sie soll eine gute Partie gemacht haben. Was mich nicht im Geringsten überrascht. War ja abzusehen, dass das gerissene, kleine …»
«Wer besucht Sie hier?»
«Mrs O’Brien. Von den Presbyterianern in der Charlotte Road. Zwölf Jahre kommt sie schon. Bringt mir Zeugs und erzählt mir, was so los ist. Sie hat mir viel von Sally erzählt. Sonst ist da niemand, der mir was von ihr erzählt, jetzt nicht mehr.»
Fenwick schob eine Packung Zigaretten über den Tisch. Ein paar Sekunden später folgte eine Schachtel Streichhölzer. Sofort öffnete Bates die Packung und steckte sich eine Zigarette an. Mit halb geschlossenen Augen sog er gierig den Rauch in seine Lunge. Als er die Augen wieder öffnete, lächelte er.
«Das ist eine ganz Schlaue, die Sally. Als sie damals in Pflege kam, hat sie es geschafft, dass alle um sie rumgetänzelt sind: die Ärzte und Psychologen, Sozialarbeiter und die Jugendfürsorge. Alle waren ganz wild drauf, ihre Wunden zu heilen – so haben sie sich, glaub ich, immer ausgedrückt. Meine Anwältin, Miss Llewelyn, hat mir alles erzählt. Sie dachte, ich würde mir Sorgen machen.» Er stieß ein kurzes Lachen aus und schüttelte den Kopf vor Erstaunen über die Dummheit mancher Leute. «Wegen ihr hätten sie sich nun wirklich kein Kopfzerbrechen machen sollen. Nein, Sir! Sie war ein zähes, kleines Luder, unsere Sally. Danach hat nie jemand gefragt, wie sie überlebt hat, wo die anderen … Na ja, das hat jedenfalls niemand je wissen wollen.»
«Dann frage ich Sie jetzt: Wie hat sie denn überlebt?»
Bates sah Fenwick an. Dann griff er erneut nach der Packung. Ein berechnender Ausdruck war in seine Augen getreten.
«Sie war nützlich, auf ihre Art. Sie konnte klauen, ohne dass jemand es gemerkt hat. Und in der Kirche hat sie die Ohren aufgesperrt und mir gesagt, wann jemand übers Wochenende verreist war oder im Urlaub. So wusste ich Bescheid, wann ich losziehen konnte. Ein heller Kopf, oh ja, das war sie.»
«Sie hat Ihnen beim Stehlen geholfen?»
«Das und anderes. Ein hübsches kleines Ding war unsere Sally. Acht Jahre alt, ein Bild von einem Mädchen. In der Kirche waren ein paar ältere Herren, die einen Narren an ihr gefressen hatten. Ganz harmlos, natürlich, das heißt, bis sie sie kennen lernten. Am Anfang musste ich ihr ein bisschen Anleitung geben, ein paar Nachhilfestunden zu Hause sozusagen, doch sie hatte den Bogen bald raus, es hat ihr sogar richtig gut gefallen. Den alten Böcken auch, bis ich dann auftauchte …»
«Sie sind also nicht nur ein Mörder, sondern auch ein Dieb und ein Erpresser?»
Bates stand mit einem Ruck auf und machte Anstalten, sich auf sein Gegenüber zu stürzen. Fenwick rührte sich nicht.
«Setzen Sie sich wieder hin. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie vorhaben, mir irgendetwas anzutun. Sie haben zwar lebenslänglich bekommen, doch es besteht ja immer die Hoffnung, dass die restliche Strafe irgendwann einmal zur Bewährung ausgesetzt wird. Und Ihre Privilegien hier, na, es wäre doch schade, wenn die alle flöten gingen. Ein Wort von mir, und schwupp, weg sind sie! Das wissen Sie doch.»
Gebannt vor Entsetzen starrte Nightingale auf die Ader, die auf Bates’ Stirn, direkt über seinen Froschaugen, pulsierte. Wie zum Sprung bereit, die Hände zur Faust geballt, stand er da, doch Fenwick blickte ihn kühl und scheinbar völlig unbewegt an.
Nach einer Weile ließ Bates sich langsam auf seinen Stuhl sinken.
«Also hat es Sie nicht überrascht, dass Sally in Pflege ging? Wie lange war sie im Heim?»
«Das fragen Sie besser Mrs O’Brien: ein, zwei Jahre vielleicht.»
«Wissen Sie etwas über die Pflegefamilie?»
« Familien .Mit sechzehn hatte sie bereits vier oder fünf
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