Nachruf auf eine Rose
war er zu dem Schluss gekommen, dass er umgehend handeln müsste.
Während sie auf die Treppe, die zur Strandpromenade hochführte, zuging, donnerte ein besonders mächtiger Wellenbrecher ans Ufer. Da beschleunigte er seinen Schritt und sprach sie an.
«Hallo Sally.»
Erschrocken sah sie auf, den Mund halb geöffnet. Sie sah sehr jung aus, so jung, dass er sich seiner Sache nun ganz sicher war. Es gab keinen Zweifel: Er kannte sie aus einem anderen Leben.
«Du erinnerst dich nicht mehr an mich?»
«Natürlich weiß ich, wer Sie sind, Fish. Gehen Sie mir aus dem Weg.»
«Nein, meine Liebe, du weißt vielleicht nicht mehr, wer ich bin! Aber ich weiß genau, wer du bist oder zumindest einmal warst.»
Schweigend blickte er sie an. Seine Worte hatten ihr die Sprache verschlagen. «Es ist schon eine ganze Weile her.»
«Nein!» Ihre Stimme versagte, und der Ausdruck ihrer Augen sagte ihm, dass sie ihn wieder erkannt hatte.
«Ja. Ich bin es. Wir sollten miteinander reden, findest du nicht auch? Vielleicht bei einer Tasse Tee. Oder hättest du lieber einen Hamburger mit Pommes, das hast du doch immer so gern gegessen, nicht wahr?»
Er sah, wie Sally sich am Geländer festklammerte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dieser Anblick verschaffte ihm Genugtuung. Oh, wie er es genoss, diese neureiche Person von ihrem Podest herunterzuholen! Er fasste sie am Arm und führte sie über die Straße zu einem der wenigen Cafés mit Blick aufs Meer, die nur am Wochenende aufhatten. Er begleitete sie zu einem Ecktisch am Fenster und kehrte kurz darauf mit zwei randvoll gefüllten Bechern dampfenden Tees wieder.
Sanft und leise sprach er auf sie ein, so dass die anderen Gäste, die neugierig zu ihnen herübersahen, nicht hören konnten, was er sagte. Immerhin boten sie einen ungewohnten Anblick: eine schöne junge Frau in Begleitung eines dicken kleinen Typen, der alt genug war, um ihr Vater zu sein.
Sally rührte den Tee nicht an. Sie saß nur da und starrte auf ihre Hände, hörte Arthurs Stimme, die eine Geschichte erzählte, die sie nur zu gut kannte. Er war wie eine Krake aus der Vergangenheit, die sich plötzlich regte und ihre Fangarme nach ihr ausstreckte, um sie mit eisernem Griff festzuhalten. Es war so ungerecht. Sie hatte ihren Traum von völliger finanzieller Unabhängigkeit schon fast verwirklicht gehabt und ihr Leben endlich unter Kontrolle gebracht. Wie hatte das nur geschehen können? Erinnerungen an die Zeit, als Arthur und sie sich kennen gelernt hatten, wurden wach. Alles, was er sagte, stimmte. Das Einzige war, dass sie sich an ihn selbst nicht erinnern konnte. Zum ersten Mal, seit sie das Lokal betreten hatten, sprach sie.
«Wie hast du mich erkannt? Ich sehe doch jetzt ganz anders aus.»
Arthur grinste und tätschelte ihre Hand. Sie spürte, wie Übelkeit in ihr hochstieg.
«Deine Augen, ich werde nie vergessen, wie du mich damals immer angesehen hast, so voller Wut und Verachtung, genau so, wie du mich neulich im Büro angeblickt hast. Wie die Zeiten sich ändern! Weiß denn der gute Alex, wen er da geheiratet hat?»
Blitzschnell zog Sally ihre Hand unter seiner weg. Der Becher mit dem Tee kippte um, und die kochend heiße Flüssigkeit ergoss sich über seine Hand. Er schrie auf und eilte zur Theke, um sich einen kalten Lappen zu holen. Zwei Finger waren bereits krebsrot und geschwollen, und die Frau hinter der Theke gluckerte beruhigend, während sie seine Hand in ein Glas mit kaltem Wasser tauchte.
Sally beobachtete ihn, wie er zum Tisch zurückkam; ein grausames Lächeln umspielte ihren Mund. Nachdem er sich gesetzt hatte, sprach sie in sanftem Flüsterton, den die umsitzenden Gäste für Besorgnis hielten, auf ihn ein.
«Du hast einen Fehler begangen, Arthur. Wag es nie wieder, mir zu drohen, hörst du, nie wieder! Du bildest dir ein, du hättest etwas gegen Alex und mich in der Hand, doch du hast nichts. Wer wird dir schon glauben, einem miesen kleinen Fettsack, der sich an Sachen aufgeilt, bei denen es jedem anständigen Menschen den Magen umdrehen würde? Du würdest dich zum Gespött der Leute machen, mein Lieber!»
«Ich war schließlich nicht der Einzige. Andere werden sich auch erinnern.»
«Das bezweifle ich. In dieser Branche ziehen es die Leute vor, sich nicht so genau zu erinnern.»
«Kann schon sein. Trotzdem kenne ich mindestens eine Person, die dir liebend gerne heimzahlen möchte, was du ihr angetan hast. Sie wird doch die kleine Sally Price nicht vergessen haben, die
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