Nachruf auf eine Rose
In Gedanken war er schon bei Amanda, sah ihren strafenden Blick, wenn er es auch nur wagen würde, seine Augen direkt auf sie zu richten. Und unter dem schwarzen Kleid würde sie ihren ausgeschnittenen Leder-BH und Strapse tragen.
Seine Wachträume wurden jäh unterbrochen. Die Tür wurde aufgerissen, und zwei halbwüchsige Mädchen und ein unscheinbarer Jugendlicher polterten herein, gefolgt von einer sympathisch aussehenden Frau, die einen kleinen weißen Hund an der Leine führte. Auf eine Bemerkung des Jungen hin brachen die zwei Mädchen in kreischendes Gelächter aus. Sie unterhielten sich in einem breiten, vulgären Dialekt, und als er sich so weit eingehört hatte, dass er ihre halbfertigen Sätze und gutturalen Laute verstehen konnte, war er entsetzt. Er konnte nicht glauben, dass junge Mädchen so primitiv sein konnten, und er hoffte inständig, dass sie sich möglichst weit entfernt niederlassen würden. Als hätte er Arthurs Unbehagen gespürt, grinste ihn der Anführer der Gruppe boshaft an und rief den anderen zu «Hierher!», bevor er sich krachend ihm gegenüber auf die Sitzbank plumpsen ließ. Automatisch legte Arthur seine Mütze beiseite, schlug demonstrativ die Zeitung auf und begann nun wirklich zu lesen.
Die beiden Mädchen zwängten ihre spärlich bekleideten, mageren Körper neben ihren Freund. Ein dunkelhaariger Jugendlicher, der das Abteil als Letzter betreten hatte, warf Arthur einen flüchtigen Blick zu und nahm am Ende des Abteils Platz. Arthur dachte kurz daran, es ihm gleichzutun, doch dann schoss ihm ein trotziges «Warum sollte ich mich wegsetzen?» durch den Kopf, und er vertiefte sich erneut in seine Lektüre.
Alles, was er tat, jedes Hüsteln, jede kleinste Bewegung – wenn er ein Bein über das andere schlug – ließ das gehässige Trio in schallendes Gelächter ausbrechen. Lauthals ergingen sie sich in Spekulationen über sein Sexualleben, mutmaßten, ob er wohl in der Nase bohren und seine Popel essen würde und ob er gerade einen gelassen hätte. Sie wiederholten sich ständig, und ihre Vorstellungskraft wurde durch ihre armselige Ausdrucksweise, mangelnde Schulbildung und einen langsam arbeitenden Verstand gebremst. Arthur schwieg und versuchte, sich auf seine Zeitung zu konzentrieren. Irgendwann würden sie es müde werden. Doch er hatte sich getäuscht. Während der Zug eine Haltestelle nach der anderen passierte, stichelten und provozierten sie ihn weiter, wie es bösartige Pubertierende in der Gegenwart von seriösen Herrschaften tun. Wenn ihr wüsstet, was ich heute Abend vorhabe, würde euch das Lachen vergehen. Sprachlos wärt ihr, kein Wort würdet ihr mehr herausbringen!
Als hätten sie seine Gedanken gelesen, verstummten die Mädchen, und als der Zug in den langen Tunnel zum Meer hin eintauchte, wurde es unheimlich still im Abteil. Die Lichter flackerten und erloschen dann ganz, und donnernde Dunkelheit umgab sie. Die Notbeleuchtung ging an und tauchte die leeren Sitze in ein unheimliches blaues Licht. Blinzelnd sah Arthur sich um. Der Jugendliche am anderen Ende des Abteils starrte ihn an. In dem unwirklichen Licht wirkten seine Augen unnatürlich blau, fast wie die toten Augen eines Roboters. Er schien Arthur direkt anzusehen, und sein Starren rief in Arthur ein unbehagliches Gefühl wach. Kurz darauf flackerte die gelbliche Kabinenbeleuchtung erneut. Sie hatten das Ende des Tunnels erreicht, und Arthur dachte nicht mehr an ihn.
Langsam fuhr der Zug in die Endstation ein. Betont lässig erhoben sich die drei Halbwüchsigen und sprangen kreischend auf den Bahnsteig, und Arthur sah noch, wie sie auf den Ausgang zustolperten.
Die Nacht war kühl und sternenklar. Arthur stopfte die Daily Mail in den nächsten Abfallbehälter und atmete tief ein. Er warf einen flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr. Sechs Uhr dreißig. Der Zug war fahrplanmäßig angekommen, und er würde pünktlich um sieben Uhr bei Amanda sein. Wenn sie fertig wären, würde er ihr etwas zur Aufbewahrung anvertrauen, auch wenn er im Moment lieber daran dachte, was er alles noch vor sich hatte. Er kannte sie jetzt schon sehr lange, und er würde ruhiger schlafen können, wenn er wüsste, dass die Sache sich an einem sicheren Ort befände. Das mit Sally würde er heute noch nicht erwähnen. Er wollte sich den Abend nicht verderben, und ganz im Gegensatz zu seinen Äußerungen im Café war er sich ganz und gar nicht sicher, ob Amanda nach all den Jahren überhaupt noch daran interessiert war.
Er
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