Nachruf auf eine Rose
vergegenwärtigen, die wir in dem Fall befragt haben, ist da jemand dabei, auf den diese Beschreibung passt?»
Schweigend dachten sie nach, dann sagte Cooper zögernd: «Alexander ist klüger, als er sich gibt.»
Constable Shah, durch Fenwicks Interesse an ihrer Meinung bestärkt, warf ein: «Sally auch. Meiner Meinung nach ist sie die intelligentere der beiden. Und wir wissen sehr wenig über sie.»
«Sie haben beide Recht. Cooper, wir müssen uns einmal mit diesem Privatdetektiv, den Graham angeheuert hat, unterhalten. Dann sollten wir die Polizei in Schottland kontaktieren und veranlassen, dass sie sein Haus auf irgendwelche Hinweise durchsuchen. Auch brauchen wir Interviews mit den Angestellten.»
Für den Rest der Fahrt hing jeder seinen Gedanken nach.
31B 25
Fenwick setzte Cooper und Shah gegenüber dem Polizeirevier ab. So konnte er, während er einparkte, noch einmal über alles nachdenken. Er hatte das Gefühl, dass sich langsam ein Bild zusammenfügte.
Angefangen hatte es, als er versuchte, hinter Sallys Verhalten irgendeine Logik zu entdecken. Doch sosehr er sich auch bemühte, er wurde nicht klug aus ihren rätselhaften Stimmungsumschwüngen. Im einen Augenblick war sie hysterisch, im nächsten schon wieder ruhig und gefasst. Er nahm sein Handy und wählte die Nummer einer Psychiaterin, die als Beraterin für die Polizei arbeitete. Als die Mailbox sich einschaltete, sprach er eine Nachricht auf Band. Als kurz darauf das Telefon klingelte, war er überrascht, dass sie so rasch zurückrief.
«Andrew, hier spricht Claire Keating. Sie haben bei mir angerufen.»
«Claire! Danke, dass Sie sich gleich melden. Haben Sie ein paar Minuten Zeit? Ich arbeite gerade an einem Fall, in den eine Person verwickelt ist, die mir zu denken gibt. Ich brauche Ihre Hilfe.»
Er schilderte Sallys Verhalten ausführlich, führte Beispiele an und zitierte ihre Äußerungen. Claire hörte zu, ohne zu unterbrechen, und als er fertig war, schwieg sie lange, bevor sie zu einer Antwort ansetzte.
«Was Sie da beschreiben, hört sich an wie dysfunktionelles Verhalten. Könnte aber auch auf akuten Stress oder Depressionen hindeuten. Schwer zu sagen, ohne die Person zu sehen.»
«Wie wird dysfunktionelles Verhalten ausgelöst?»
«Dafür kann es mehrere Gründe geben: Geisteskrankheit, Missbrauch, Persönlichkeitsstörungen oder alles zusammen. Die Symptome sind ziemlich uneindeutig, doch wie Sie es beschrieben haben, hört sich das schon ein wenig krass an. Dennoch ist es nicht einfach herauszufinden, ob es sich um eine Form von Abnormität oder um soziale Unausgeglichenheit handelt.»
«Gehen wir einmal davon aus, dass es sich um mehr als nur die Auswirkungen von Stress handelt. Was für Ursachen kann das haben?»
«Ich kann natürlich nichts zu dieser Sally sagen, aber vielleicht helfen Ihnen Beispiele von anderen Fällen, sofern das unter uns bleibt.»
«Natürlich.»
«Eine derartige emotionale Unsicherheit, wie Sie sie beschrieben haben, kann viele Ursachen haben. Doch meistens deutet das auf ein Kindheitstrauma oder auf Missbrauch hin.»
Fenwick dachte sofort an seinen Sohn und an dessen Reaktion auf die Krankheit seiner Mutter. Er fröstelte. Chris war damals erst vier gewesen, als er den Selbstmordversuch seiner Mutter und Fenwicks Reanimierungsmaßnahmen mit angesehen hatte. Claire, die nicht wissen konnte, dass Fenwicks Bezugsrahmen jetzt ein anderer war, führte weiter aus:
«Ein psychisch angeschlagener Mensch kann reifen, sich sogar frei machen. Manchmal führen diese Menschen ein scheinbar normales Leben, ohne dass für einen Außenstehenden erkennbar wäre, dass sie ein traumatisches Erlebnis hatten. Neueste Erkenntnisse zeigen jedoch, dass die Wahrscheinlichkeit, dass diese Menschen ein normales Erwachsenendasein führen, eher gering ist. Das Leben heute ist außergewöhnlich intensiv. Die Menschen sind einer enormen Informationsflut ausgesetzt, sie werden praktisch bombardiert mit Meinungen, werden zwangsläufig in Auseinandersetzungen hineingezogen, so dass die Realität sehr subjektiv wahrgenommen wird. Wenn dazu noch eine gewisse emotionale Unreife kommt und ein verdrängtes Kindheitstrauma, dann werden manche Menschen zu einer wahren Zeitbombe, Menschen, die den Anschein von Normalität erwecken, hinter deren Fassade sich jedoch ein Abgrund auftut, in den sie jederzeit stürzen können. So etwas passiert immer wieder, und wir nennen das einen Nervenzusammenbruch. Die meisten von ihnen erholen sich
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