NachSchlag
auch mehr als das.
Nur damit erntete sie Marits Anerkennung und zauberte eine weiche Losgelöstheit in die mütterlichen Züge, und dafür lebte und atmete das kleine Kind. Nur dafür.
Lea war lieb und brav, wenn sie ins Bett gebracht wurde … sie war es beim Aufstehen, beim Spielen, beim Spazierengehen, bei Besuchen, bei Betätigungen aller Art, und sie war IMMER brav.
Es gab bloß eine einzige Ausnahme: das Essen. Lea aß nicht gern. Da Marit ebenfalls ihre Essstörungen hatte, war sie oftmals geneigt, nicht zu streng mit dem Kinde zu sein, obwohl sie sich schon Sorgen machte. Sich um Lea zu sorgen war ihr ohnehin zur zweiten Natur geworden. Das Mädchen war ihr Ein und Alles.
Lange Zeit blieb der Konflikt bei den Mahlzeiten latent, Marit behandelte ihre Tochter mit Nachsicht, erzählte ihr Geschichten, damit sie nur ein kleines bisschen mehr aß von den Sachen, die sie nicht so mochte – und das waren eine ganze Menge – und so schwelte das Ganze und kam nicht zum Ausbruch, bis etwas höchst Einschneidendes geschah in der eisern verschworenen Kleingemeinschaft zwischen alleinerziehender Mutter und Einzelkind.
Dieses Einschneidende war ein Mann.
Er zerteilte sie beide in der Tat … durchtrennte ihre Gemeinschaft wie eine Schere, die Samt zerschneidet … Samt, der blutete.
Er war groß, dunkel, lustig und herrisch zugleich, und Marit hatte sich so heftig in ihn verliebt, dass es sie selbst erschreckte. Maurice war sein Name.
Als er anfing, über Nacht dazubleiben, wurde Lea noch stiller und blasser, als sie es ohnehin schon war, und aß immer weniger.
Ein metallischer Geschmack in ihrem Mund … gleichzeitig war ihr ganzer Kiefer verkrampft … wieso? Lea, die abwärts fuhr, Lea, die gefesselt in eine Welt neuer Qualen hinabtauchte, eine Welt, die auf sie wartete mit Foltermeister Armand in ihrer Mitte, eine Striemenpeitsche in der Hand, versuchte zu schreien, aber kein Laut drang zwischen ihren Lippen hervor
.
Nicht ein Ton
.
»Bitte, Lea, nun iss doch.«
Es klang undeutlich, verzerrt. Am Ende ihrer Kräfte kniete Marit vor ihrer Tochter, die seit fünf Tagen nichts gegessen und auch nur sehr wenig getrunken hatte.
Lea presste die Lippen zusammen. Vor sich auf dem Tischchen eine Schale mit längst erkaltetem Brei.
Im Türrahmen erschien Maurice, einen halb verächtlichen, halb angewiderten Ausdruck im Gesicht. »Also, mir hätte man so etwas nicht durchgehen lassen, als ich ein Kind war! Marit, Schatz, du solltest schon etwas konsequenter sein! Und dich besser durchsetzen!«
Leas Mutter fuhr zornig zu ihm herum, und in ihren vom Weinen verschwollenen Augen blitzte es. »Das sagt sich so leicht! Dann versuch du es doch!«, rief sie giftig.
Und türenknallend hastete sie aus der Küche.
Die folgende Stunde dehnte sich für alle Beteiligten zur quälenden Ewigkeit.
Mit verschiedenen Mitteln versuchte der solcherart herausgeforderte Maurice, Lea zum Essen zu bringen. Zwar schlug er sie nicht, aber die Art und Weise, wie er sie anpackte, war pure Gewalt. Er strengte sich an, mit dem Löffel die Kiefer des Kindes aufzustemmen, musste aber vor der wahnsinnigen Kraft der Dreijährigen die Waffen strecken. Daraufhin griff er zu einem Trick und hielt ihr die Nase zu. Lea ruderte wild mit den Ärmchen in der Luft, ihre Augen quollen hervor, sie lief blaurot an, und endlich musste sie den Mund öffnen um nach Luft zu schnappen, so dass er ihr den Löffel mit der ekligen kalten Breimasse hineinstecken konnte … ihre Zähnchen bissen zu, bissen sich am Löffel fest, verbogen ihn, und anstatt zu schlucken, spuckte sie die verhasste Nahrung in hohem Bogen aus. Spritzer davon landeten auf Maurices Nase, auf dem Boden, auf der gegenüberliegenden Wand. Wohl ein Dutzendmal wiederholte sich diese grässliche Prozedur, doch nicht ein Gramm Brei fand seinen Weg in den Magen des Kindes. Wieder und wieder versuchte der Mann, Leas aufeinandergepresste Kiefer mit Hilfe des Löffels zu öffnen – umsonst.
Gegen Ende der Stunde schien es Maurice doch zu gelingen, einen Brocken tief in Leas Schlund zu stoßen, doch unter schrecklichem Würgen erbrach sie den Happen wieder.
In eben diesem Moment kam Marit, die an der Tür gelauscht hatte, wieder hereingestürmt und brach die Tortur ab. Sie machte Maurice keine Vorwürfe, aber ein feiner Riss war zwischen ihr und ihm entstanden.
»Siehst du«, begann sie verhältnismäßig ruhig, »du hast es auch nicht geschafft.« Und brach dann schluchzend neben Lea zusammen, sah
Weitere Kostenlose Bücher