NachSchlag
hatte Marit etwas Gutes über den heranreifenden Körper ihrer Tochter gesagt, bis auf das eine Mal. Ansonsten gewann die junge Lea eher den Eindruck, Nacktheit und Sex seien etwas Dunkles, Gefährliches und auch Unwichtiges … dergleichen tat sie eher verächtlich ab, und somit hätte sie am liebsten ein geschlechtsloses Kind gehabt, so schien es. Unbefangenes Sich-Entblößen gab es nicht in Marits Haushalt, alles, was mit sexuellen Dingen zusammenhing, wurde so weit wie möglich ignoriert
.
Doch an diesem einen Tag war die Mutter in einer seltenen sanften, hellen Stimmung gewesen. Sie betrat Leas Zimmer, als diese sich gerade obenherum ausgezogen hatte. Hastig wollte die junge Frau nach einem Handtuch greifen, um sich zu bedecken, da schaute Marit sie lächelnd, fast verträumt an und sagte dann: »Du hast aber wirklich schöne, wohlgeformte Brüste. Und so makellose Haut! Darauf kannst du stolz sein.« Sie nickte energisch, wartete keinerlei Erwiderung ihrer verblüfften Tochter ab, sondern verließ das Zimmer wieder
.
Aber Lea bewahrte diese Worte als etwas unglaublich Kostbares in ihrem Herzen
.
Yonathan ließ ihr Zeit. Er gab ihr den Raum, sich zu öffnen, stellte interessierte Fragen, ließ sie erzählen, wurde niemals ungeduldig, wenn sie ins Stocken geriet.
Langsam umkreiste sie das Thema »Mutter«, kam ihm näher, reiste von den äußeren Planeten zu den inneren, die die Sonne ganz dicht umkreisten.
Vom Kopf her wusste sie längst, dass sie ihr Mutterproblem angehen musste, aber sie verdrängte das immer wieder.
Yonathan nahm sie an mit ihrer Schwäche, ihren Zweifeln, all dem Geröll und Schutt; es schien, als könne ihn nichts, aber auch gar nichts erschüttern.
Wie sie aufblühte und, symbolhaft, ihre Wohnung gleich mit. Wie sie neuen Mut für ihre Kunst schöpfte und mit wachsendem Erfolg auftrat, an einem anderen Aktionstheater, wo sie eine besondere Art von SM-Performance aufzuführen begann, was hervorragend ankam bei einem ganz bestimmten Publikum, reich, elegant, dekadent, geheimbündlerisch, wie die maskierte Gesellschaft im Film »Eyes Wide Shut« von Stanley Kubrick. Wie jene Menschen in Roissy …
Begeisterung. Schwung. Das Gefühl, fliegen zu können!
Und mitten hinein in diese Euphorie platzte Marits Versuch, wieder Kontakt aufzunehmen zu ihrer einzigen Tochter.
Zunächst wehrte Lea stählern ab.
Zusammenhanglos entfuhr es ihr – ach, es war ihr stets fast unmöglich gewesen, Geheimnisse vor der Mutter zu bewahren, die weitaus meisten jedenfalls: »Ich habe einen neuen Freund, Mama.«
Marit behauptete, sich darüber zu freuen.
Ich denke, ich bin bald bereit zu einer erneuten Konfrontation mit ihr
, dachte Lea in dieser Zeit oft.
Eines Tages hatte sie einen bedeutenden SM-Performance-Auftritt im Black Magnolia Castle, einer malerisch hergerichteten Burgruine, die einem reichen SM-Liebhaber gehörte.
Bedeutend war dieser Abend in zweifacher Hinsicht: Yonathan wirkte mit, er fesselte sie an ein riesiges Rad, er drehte sie und schwang eine lange Peitsche über ihr, und in der übrigen Zeit, in der nur sie allein auf der Bühne zu sehen war, machte er die Musik. Es war das erste Mal für sie, dass sie überhaupt einen Partner auf der Bühne hatte, eine Premiere.
Außerdem hatte Anna sich als Zuschauerin angesagt und einen VIP-Platz bekommen, in der ersten Reihe. Sie hatte erklärt, wenn ihr das gefalle, wolle sie selber in das Geschäft mit Porno- und SM-Shows einsteigen.
Lea tauchte ein in den schöpferischen Rausch, war eins mit dem Bühnenbild und gab sich ihrem selbst geschriebenen Programm hin, mit Haut und Haaren, Leib und Seele, stärker noch als sonst, und wann immer ihr Blick sich mit dem Yonathans traf, wuchs ihre Kraft ins Unermessliche.
Es gab nur einen einzigen winzigen Moment der Disharmonie.
Gegen das Ende der Show, als Yonathan das Rad, an das sie gebunden war, ein letztes Mal ganz langsam drehte, wanderte sein Blick von ihr fort, suchte den von Anna und fand ihn, da sie lächelnd zu ihm herüberschaute.
Lea befand sich gerade in einer günstigen Position; sie konnte genau erkennen, wie etwas zwischen den beiden schwang. Etwas sehr Intensives. Es war, als habe er all das Schöne, Gute, Wunderbare, womit er Lea beglückt hatte, in Wahrheit für Anna getan.
Annas streng-attraktives, so viel Kühle ausstrahlendes Gesicht war zum ersten Mal von warmer Herzlichkeit erleuchtet. Als ob sie sich in eine komplett andere Frau verwandelt hatte.
Lea konnte FÜHLEN,
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