NachSchlag
Totschlag büßte, den sie nicht begangen hatte.
»Meinst du, ich soll ihr gestehen, was ich getan habe?«, fragte Lea Armand um Rat.
»Sie weiß es doch schon längst«, sagte er sanft. Das war das mit Abstand Respektvollste und Freundlichste, was er je über Leas Mutter gesagt hatte.
Sie strahlte.
Draußen wechselten Wolken und Sonnenschein einander ab, und Lea empfand den Tag als frisch, anders, alles hatte sich verwandelt – sie fühlte, dass ihr bewundernde Seitenblicke folgten, auf der Straße, in der Bahn, aus dem Pförtnerhäuschen der Justizvollzugsanstalt – sie trug Rock und Bluse, beides in hellen Frühlingsfarben, ihre Schuhe hatten hohe Absätze, und sie schwebte förmlich auf ihnen, selbstbewusst wie sonst nur während einer Performance.
Im kargen, kahlen Besuchsraum mit den harten Stühlen saßen sich Mutter und Tochter wieder einmal gegenüber.
Marit erzählte von sich und ihrer freudlosen Kindheit, wieder einmal; alles so traurig: missbraucht vom Vater, nicht beschützt von der hilflosen Mutter – doch diesmal stellte Lea bei sich fest, dass sie besser hinhören konnte und zarte Pflänzchen von Mitgefühl in ihr wuchsen … bislang hatte sie stets nur verbittert gedacht: »Ja, ja … jetzt klagt sie sich selbst an, gibt zu, Fehler begangen zu haben, betreibt Nabelschau … und was ist mit mir? Sie will Absolution, und zwar vor allem dafür, DASS SIE NICHTS FÜHLT. Nicht mit mir, verdammt.«
Aber jetzt, erstmals, akzeptierte Lea ihre Mutter, wie sie war.
Sie lächelte.
Plötzlich unterbrach Marit sich selbst in ihrem Redeschwall. Musterte ihre Tochter von oben bis unten, und auf ihrem mageren Gesicht breitete sich ebenfalls ein zaghaftes Lächeln aus.
Zum allerersten Mal in ihrem Leben sah sie Lea
wirklich
.
Und sagte: »Du bist eine schöne Frau.«
In den kommenden Wochen wechselten Mutter und Tochter Briefe miteinander, in denen sie sich weiter annäherten.
Als Antwort auf einen Brief, in dem Lea von sich erzählte, erhielt sie folgende Zeilen:
»Liebe Lea, ich bin immer noch gerührt von deinem so liebevollen, klugen und sanften Brief. Jedes Wort ist wie ein Diamant in meinem Herzen. Und ich stimme dir in allem zu. Mich interessiert auch wirklich alles, was dich betrifft. Niemals wird meine Liebe zu dir aufhören, was du auch tust. – Ich bin so froh, dass du zufrieden und glücklich bist. Das ist das Wichtigste! Deine Mama«
An diesem Tag verließ Lea das Gefängnis beschwingt. In einem kleinen Park in der Nähe wartete Armand auf sie.
Ein Regenschauer war in der Zwischenzeit niedergegangen; jetzt brach die Sonne wieder golden durch die Wolken, die Luft roch frisch, grün, zart gewürzt.
Der Park besaß dicht belaubte Bäume und Büsche, auch Bananenstauden in Kübeln und Palmen, von deren breiten Fiederblättern klare Tropfen rannen … und halb versteckt darunter eine Bank.
Spaziergänger streiften das Liebespaar mit flüchtigen Blicken; nur wer genau hinsah, erkannte vielleicht, dass von dem großen, muskulösen Mann und seiner zarten Gefährtin eine ungewöhnliche Leuchtkraft ausging. Etwas – Anderes, Faszinierendes.
Armand zog Lea an sich, kniff langsam und genussvoll in ihre rechte Brustwarze und streifte geschickt ihren Rock hoch – so dass Betrachter seine Handlung allenfalls hätten erahnen können.
Er besaß Stil, er vermischte die Welten niemals, ließ sie einander höchstens sacht berühren.
»Geht es dir gut?«, fragte er.
»Ja!« Ihre türkisfarbenen Augen leuchteten.
Ein kleines Grinsen zuckte um Armands Mundwinkel, als er ein Paar Stahlhandschellen aus seiner Jackentasche zog und zwischen sich und Lea legte.
Sie grinste ebenfalls eine Sekunde lang … während ihre Erregung wuchs.
Der Kreis schloss sich.
Lea streckte ihm ihre Handgelenke entgegen – in die Gelenke waren ebenfalls noch immer Spuren eingekerbt – und ihr Gebieter und Gefährte beugte sich zu ihr, küsste sie zunächst auf die leicht geöffneten Lippen.
Um dann mit ihr das zu tun, was sie beide wollten.
Was ihren tief empfundenen Wünschen entsprach.
Ganz und gar.
Honigdornen
Meine Freundin Josephine und ich lebten seit sieben Jahren »miteinander und auch zusammen«, wie wir es gern nannten, und wir hatten eine Menge gemeinsam: die Liebe zur Kunst, zu Waldspaziergängen, Italowestern und ungewöhnlichen Gedankengängen … und nicht zuletzt eine
gewisse
Neugier. Oder sagen wir: Experimentierfreude.
Wir waren abgeschieden und unerkannt und fern von den anderen. Denen
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