Nachschrift zum Namen der Rose
Debatten beherrscht, daß
nämlich der äußere Skandal ein Prüfstein für den Wert einer
Arbeit sei. Vielleicht muß sogar die fundamentale Dichotomie
zwischen Ordnung und Unordnung, zwischen konsumorientier-
tem und provokatorischem Werk in einer anderen Perspektive
neubestimmt werden, ohne daß sie damit an Gültigkeit zu
verlieren braucht: Ich glaube nämlich, daß es möglich sein wird,
Elemente von Bruch und Infragestellung auch in Werken zu
finden, die sich scheinbar zu leichtem Konsum anbieten, und
demgegenüber festzustellen, daß manche provokatorisch
erscheinenden Werke, die das Publikum immer noch von den
Sitzen reißen, in Wahrheit gar nichts in Frage stellen... Ich stoße
noch immer auf Leute, die den Wert eines Werkes bezweifeln,
weil es ihnen zu gut gefallen hat ...« Und so weiter.
Das war, wie gesagt, 1965. Die Zeit, als die Pop Art aufkam
und damit die traditionellen Unterscheidungen zwischen experi-
menteller Kunst (als nicht-figurativer) und Massenkunst (als
narrativer und figurativer) hinfällig wurden. Die Zeit, als man
über die Beatles sprach und Pousseur mir sagte: »Sie arbeiten
für uns« -
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ohne sich allerdings klarzumachen, daß er auch für sie arbeitete
(und es mußte erst eine Cathy Berberian kommen, um uns zu
zeigen, daß die Beatles, richtig zurückgeführt auf ihren Stammvater
Henry Purcell, im Konzertsaal neben Monteverdi und Erik Satie
aufgeführt werden konnten).
Postmodernismus, Ironie und
Vergnügen
In der Zeit von 1965 bis heute ließen sich zwei Gedanken
endgültig klären. Erstens, daß man die Handlung auch in Gestalt
von Zitaten anderer Handlungen wiederentdecken konnte, und
zweitens, daß ein Zitat dann womöglich weniger brav und
versöhnlerisch sein würde als die zitierte Handlung selbst (es
war 1972, als ich bei Bompiani ein Sammelbändchen herausgab,
das unter dem. programmatischen Titel Ritorno dell'intreccio
eben die »Wiederkehr der Intrige« beschwor, wenn auch vorerst
nur durch ironische, aber zugleich bewundernde Rückbesin-
nungen auf Autoren wie Ponson du Terrail und Eugéne Sue —
sowie durch kaum ironisch verbrämte Bewunderung einiger
großer Seiten von Dumas Pére). Gab es damit die Möglichkeit
zu einem neuen, nicht versöhnlerischen, hinreichend problem-
haltigen und dabei amüsanten Roman?
Diese Kombination, verbunden mit der Wiederentdeckung
nicht nur der Handlung, sondern auch des Vergnügens, mußte
erst noch von den amerikanischen Theoretikern des Postmoder-
nismus besorgt werden.
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Unglücklicherweise ist »postmodern« heute ein Passe-
partoutbegriff, mit dem man fast alles machen kann. Ich habe
den Eindruck, daß ihn inzwischen jeder auf das anwendet, was
ihm gerade gefällt. Außerdem gibt es, wie mir scheint, eine
Tendenz, ihn historisch immer weiter nach hinten zu schieben:
Erst schien er auf einige Schriftsteller oder Künstler der letzten
zwanzig Jahre zu passen, dann gelangte er, rückwärts durch die
Jahrzehnte wandernd, allmählich bis zum Beginn des Jahr-
hunderts, dann ging er noch weiter zurück, und er ist immer noch
unterwegs; bald wird die Kategorie des Postmodernen bei Homer
angelangt sein.
Ich glaube indessen, daß »postmodern« keine zeitlich begrenz-
bare Strömung ist, sondern eine Geisteshaltung oder, genauer
gesagt, eine Vorgehensweise, ein Kunstwollen*. Man könnte
geradezu sagen, daß jede Epoche ihre eigene Postmoderne hat,
so wie man gesagt hat, jede Epoche habe ihren eigenen Manieris-
mus (und vielleicht, ich frage es mich, ist postmodern überhaupt
der moderne Name für Manierismus als metahistorische
Kategorie). Ich glaube, daß man in jeder Epoche an Krisen-
momente gelangt, wie sie Nietzsche im Zweiten Stück der
Unzeitgemäßen Betrachtungen, über den »Nachteil der Historie für das Leben«, beschrieben hat. Die Vergangenheit kondi-tioniert, belastet, erpreßt uns. Die sogenannte »historische«
Avantgarde (aber auch hier würde ich Avantgarde als metahis-
torische Kategorie verstehen) will mit der
* im Original deutsch (A. d. Ü.)
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Vergangenheit abrechnen, sie erledigen. »Nieder mit dem
Mondschein!«, die Kampfparole der Futuristen, ist ein
typisches Programm jeder Avantgarde, man muß nur etwas
Passendes an die Stelle des Mondscheins setzen. Die
Avantgarde zerstört, entstellt die Vergangenheit: Picassos
Demoiselles d'Avignon sind die typische Auftrittsgebärde der
Avantgarde; dann geht die Avantgarde weiter, zerstört
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