Nachschrift zum Namen der Rose
die
Figur, annulliert sie, gelangt zum Abstrakten, zum Informellen,
zur weißen Leinwand, zur zerrissenen Leinwand, zur ver-
brannten Leinwand; in der Architektur ist das Ende die
Minimalbedingung des Curtain Wall, das Bauwerk als glatte
Stele, das reine Parallelepiped, in der Literatur die Zerstörung
des Redeflusses bis hin zur Collage à la Burroughs, bis hin zum
Verstummen oder zur leeren Seite, in der Musik der Übergang
von der Atonalität zum Lärm, zum bloßen Geräusch oder zum
totalen Schweigen (in diesem Sinne ist der frühe Cage ein Mo-
derner).
Es kommt jedoch der Moment, da die Avantgarde (also die
Moderne) nicht mehr weitergehen kann, weil sie inzwischen
eine Metasprache hervorgebracht hat, die von ihren unmög-
lichen Texten spricht (die Concept Art). Die postmoderne
Antwort auf die Moderne besteht in der Einsicht und
Anerkennung, daß die Vergangenheit, nachdem sie nun einmal
nicht zerstört werden kann, da ihre Zerstörung zum Schweigen
führt, auf neue Weise ins Auge gefaßt werden muß: mit Ironie,
ohne Unschuld. Die postmoderne Haltung erscheint mir wie die
eines Mannes, der eine kluge und
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sehr belesene Frau liebt und daher weiß, daß er ihr nicht sagen
kann: »Ich liebe dich inniglich«, weil er weiß, daß sie weiß (und
daß sie weiß, daß er weiß), daß genau diese Worte schon, sagen
wir, von Liala geschrieben worden sind. Es gibt jedoch eine
Lösung. Er kann ihr sagen: »Wie jetzt Liala sagen würde: Ich
liebe dich inniglich.« In diesem Moment, nachdem er die falsche
Unschuld vermieden hat, nachdem er klar zum Ausdruck
gebracht hat, daß man nicht mehr unschuldig reden kann, hat er
gleichwohl der Frau gesagt, was er ihr sagen wollte, nämlich daß
er sie liebe, aber daß er sie in einer Zeit der verlorenen Unschuld
liebe. Wenn sie das Spiel mitmacht, hat sie in gleicher Weise
eine Liebeserklärung entgegengenommen. Keiner der beiden
Gesprächspartner braucht sich naiv zu fühlen, beide akzeptieren
die Herausforderung der Vergangenheit, des längst schon
Gesagten, das man nicht einfach wegwischen kann, beide spielen
bewußt und mit Vergnügen das Spiel der Ironie... Aber beiden
ist es gelungen, noch einmal von Liebe zu reden.
Ironie, metasprachliches Spiel, Maskerade hoch zwei.
Weshalb es dann - wenn beim Modernen, wer das Spiel nicht
verstand, es nur ablehnen konnte - beim Postmodernen auch
möglich ist, das Spiel nicht zu verstehen und die Sache ernst zu
nehmen. Das ist ja das Schöne (und die Gefahr) an der Ironie:
Immer gibt es jemanden, der das ironisch Gesagte ernst nimmt.
Ich denke, die Collagen von Braque, Juan Gris und Picasso
waren »modern«: Deswegen wurden sie vom normalen
Publikum abgelehnt. Dagegen waren die Collagen,
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die Max Ernst aus alten Stichen montierte, »postmodern«: Man
konnte und kann sie auch wie phantastische Traum- oder
Abenteuergeschichten lesen, ohne zu merken, daß sie einen
Diskurs über alte Stiche darstellen und vielleicht auch einen
über das Collagieren selbst. Wenn dies aber postmodern ist,
dann liegt auf der Hand, warum Sterne oder Rabelais
postmoderne Autoren waren, warum Borges gewiß einer ist und
warum in ein und demselben Künstler moderne und
postmoderne Elemente koexistieren, einander kurzfristig
ablösen oder auch alternieren können. Man denke zum Beispiel
an Joyce: Das Portrait ist die Geschichte eines modernen
Versuchs. Die Dubliners sind, obwohl früher, moderner als das Portrait. Ulysses steht auf der Grenze. Finnegans Wake ist schon postmodern oder eröffnet zumindest den postmodernen
Diskurs, denn er verlangt, um verstanden zu werden, nicht die
Negation des bereits Gesagten, sondern dessen ironische
Neureflexion.
Über den Postmodernismus ist schon fast alles gleich am
Anfang gesagt worden (namentlich in Aufsätzen wie »Die
Literatur der Erschöpfung« von John Barth aus dem Jahr
1967).20 Nicht daß ich immer mit allem einverstanden wäre, was
die Theoretiker des Postmodernismus (Barth inklusive) über
Autoren und andere Künstler schreiben, um jeweils festzulegen,
wer schon postmodern ist und wer noch nicht. Aber mich
interessiert das Theorem, das die Theoretiker dieser Richtung
aus ihren Prämissen ableiten: »Mein idealer postmoderner
Schriftsteller imitiert nicht und
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negiert auch nicht seine Eltern im zwanzigsten noch seine
Großeltern im neunzehnten Jahrhundert. Er hat die Moderne
verdaut, aber er trägt sie nicht als bedrückende Bürde mit
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