Nachschrift zum Namen der Rose
vertreten worden, um genau diesen Effekt zu erzielen,
und waren gemünzt auf traditionelle, fundamental versöhn-
lerisch eingestimmte Romane ohne erwähnenswerte Innova-
tionen gegenüber der Problematik des 19. Jahrhunderts. Daß
sich dann starre Fronten bildeten und nicht selten aus jeder
Mücke ein Elefant gemacht wurde, oft aus Gründen des
Bandenkrieges, ist fatal. Ich erinnere mich, daß unsere Gegner
damals Lampedusa, Bassani und Cassola waren19 - drei Autoren,
die ich heute nicht mehr in einen Topf werfen würde. Lampe-
dusa hatte einen guten Roman zur Unzeit geschrieben, und wir
polemisierten gegen den Kult, der um ihn gemacht wurde, als
habe er der italienischen Literatur einen neuen Weg gewiesen,
während er ganz im Gegenteil einen anderen glanzvoll abschloß.
Über Cassola habe ich meine Meinung nicht geändert. Über
Bassani dagegen würde ich heute sehr, wirklich sehr viel
behutsamer
7i
reden, und wären wir noch im Jahr '63, würde ich ihn als
Weggefährten akzeptieren. Aber es geht mir hier um ein anderes
Problem.
Niemand erinnert sich nämlich mehr, was dann 1965 geschah,
als die Gruppe erneut in Palermo zusammenkam, um über den
experimentellen Roman zu diskutieren (und der Band mit den
Tagungsbeiträgen, erschienen 1966 bei Feltrinelli unter dem
Titel Il romamzo sperimentale, ist sogar immer noch lieferbar).
Dabei war im Verlauf jener Tagung allerhand Interessantes zu
hören. Vor allem das Eröffnungsreferat von Renato Barilli, dem
einstigen Theoretiker sämtlicher Experimente des Nouveau
Roman, der sich nun mit dem neuen Robbe-Grillet auseinander-
setzte, und mit Grass und mit Pynchon (vergessen wir nicht, daß
Thomas Pynchon heute zu den Begründern der literarischen
»Postmoderne« gezählt wird - aber damals gab es diesen Begriff
noch nicht, jedenfalls nicht in Italien, und John Barth in Amerika
fing gerade erst an). Barilli zitierte den wiederentdeckten
Roussel, der Jules Verne geliebt hatte, und er zitierte Borges nur
darum nicht, weil dessen Neubewertung damals bei uns noch
nicht eingesetzt hatte. Und was sagte Barilli? Daß man bisher die
»Abkehr von der Intrige« privilegiert habe und den »Stillstand
der Handlung im Aufschein und Rausch der Materie«
(exemplarisch in Robbe-Grillets La Jalousie). Aber daß nun eine
»neue Phase der erzählenden Kunst« beginne mit einer »Wieder-
aufwertung der Handlung«, wenn auch einer strukturell anderen
(einer »action autre«).
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Ich analysierte danach die Eindrücke, die wir am Vorabend
bei einem Kinobesuch gehabt hatten, als wir eine kuriose
Filmcollage von Baruchello und Grifi sahen, Verifica incerta,
eine Geschichte aus lauter Fetzen von anderen Geschichten, aus
Standardsituationen, Klischees und Stereotypen des kommer-
ziellen Kinos. Wobei ich hervorhob, daß die Stellen, an denen
das Publikum sichtlich am meisten Vergnügen gehabt hatte,
immer genau die Stellen waren, an denen es wenige Jahre zuvor
noch Empörung gezeigt hätte, nämlich jedesmal dann, wenn die
logischen und die zeitlichen Folgen des traditionellen Hand-
lungsablaufs übersprungen und die Erwartungen der Zuschauer
heftig frustriert wurden. Die Avantgarde war im Begriff,
Tradition zu werden; was ein paar Jahre zuvor noch dissonant
geklungen hatte, wurde zum Ohrenschmaus (oder zur Augen-
weide). Daraus gab es, folgerte ich, nur einen Schluß zu ziehen:
Die »Inakzeptabilität der Botschaft« sei nicht mehr länger das
Hauptkriterium für experimentelles Erzählen (oder für jede
beliebige andere experimentelle Kunst), da nun das Inakzeptable
als vergnüglich kodifiziert worden war. Was sich abzeichne, sei
ein versöhntes Zurück zu neuen Formen von Akzeptablem und
Vergnüglichem. Wenn es zu Zeiten von Marinetti und seinen
futuristischen Abenden noch unverzichtbar war, daß die Zuhörer
vor Empörung aufheulten, sei es heute, sagte ich, »unproduktive
und dumme Polemik, wenn jemand ein Experiment für
gescheitert erklärt, weil es als normal akzeptiert worden ist«;
dergleichen sei »stures Festhal-
73
ten an den Wertmustern der historischen Avantgarde, und in
diesem Moment ist der eventuelle Avantgardekritiker bloß noch
ein verspäteter Marinettianer. Bedenken wir, daß die Inakzepta-
bilität der Botschaft für den Empfänger nur in einem ganz
bestimmten historischen Augenblick eine Wertgarantie war...
Ich fürchte, wir müssen allmählich auf jenen Hintergedanken
verzichten, der immer noch unsere
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