Nachschrift zum Namen der Rose
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müssen, um unsere Anamnese zu machen. Aber man kann vom
Mittelalter auch im Stil von Excalibur sprechen. Also ist das Problem ein anderes und bedarf der Klärung: Was kennzeichnet
einen historischen Roman?
Ich glaube, man kann aus alten Zeiten auf dreierlei Weise
erzählen. Eine ist die Romanze, im Sinne von englisch
romance. Sie reicht von den keltischen Artusromanen bis zu
den Geschichten von Tolkien und umfaßt auch die Gothic
Novel, die gerade nicht novel ist, sondern eben romance.
Geschichte als Bühnenbild, als Vorwand und phantastische
Konstruktion, um der Einbildung freien Lauf zu lassen. Darum
braucht die Romanze auch gar nicht in der Vergangenheit zu
spielen, es genügt, daß sie nicht im Hier und Jetzt spielt, daß sie
nicht vom Hier und Jetzt redet, nicht einmal allegorisch. Viele
Science-Fiction-Romane sind reine Romanzen. Die Romanze
ist die Geschichte eines Woanders.
Dann gibt es den Mantel-und-Degen-Roman, Beispiel
Dumas. Der Mantel-und-Degen-Roman nimmt einen »realen«
und erkennbaren Abschnitt aus der Geschichte, bevölkert ihn,
um ihn erkennbar zu machen, mit Persönlichkeiten, die in den
Geschichtsbüchern stehen (Richelieu, Mazarin), und läßt sie ein
paar Din-
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ge tun, die nicht in den Geschichtsbüchern stehen (daß sie
Mylady treffen, daß sie Kontakte zu einer gewissen Bonacieux
haben), die aber den Geschichtsbüchern auch nicht wider-
sprechen. Natürlich müssen diese Persönlichkeiten, um den
Eindruck der historischen Realität zu bekräftigen, dann auch das
tun, was sie (den Historikern zufolge) wirklich getan haben (La
Rochelle belagern, intime Beziehungen zu Anna von Österreich
unterhalten, mit der Fronde zu tun bekommen). In dieses »wahr-
heitsgemäße« Tableau werden alsdann Phantasiegestalten einge-
fügt, die aber Gefühle und Reaktionen bezeugen, wie man sie
auch Gestalten aus anderen Epochen zuschreiben könnte. Was
d'Artagnan tut, während er in London den Schmuck der Königin
wiederbeschafft, hätte er auch im 15. oder 18. Jahrhundert tun
können. Man braucht nicht im 17. Jahrhundert zu leben, um die
Psychologie d'Artagnans zu haben.
Im wahren historischen Roman, dem dritten Typus, brauchen
dagegen keine »bekannten Persönlichkeiten« aus den Ge-
schichtsbüchern aufzutreten. Man denke nur an Die Verlobten.
Die bekannteste Persönlichkeit ist der Kardinal Federigo, den
vor Manzoni nur wenige kannten (viel bekannter war der andere
Borromeo, San Carlo). Doch alles, was Renzo, Lucia oder Fra
Cristoforo tun, konnte nur in der Lombardei des 17. Jahrhun-
derts getan werden. Das Handeln und Denken der Roman-
personen dient zum besseren Verständnis der Geschichte.
Ereignisse und Personen sind erfunden, doch sie sagen uns über
das Italien jener Zeit Dinge, die uns
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von den Geschichtsbüchern niemals so klar gesagt worden
waren.
In diesem Sinne wollte ich einen historischen Roman
schreiben: »historisch« nicht, weil Ubertin von Casale und
Michael von Cesena (oder Bernard Gui und Kardinal del
Poggetto) wirklich existiert haben und mehr oder weniger das
sagen sollten, was sie wirklich gesagt haben, sondern weil
alles, was fiktive Personen wie William sagen, in jener Epoche
sagbar sein sollte.
Ich weiß nicht, wie treu ich diesem Vorsatz geblieben bin.
Ich glaube nicht, daß ich ihn mißachtet habe, wenn ich Zitate
von späteren Autoren (wie Wittgenstein) als Zitate aus der
Epoche maskierte. In solchen Fällen wußte ich schließlich sehr
genau, daß es nicht meine Mittelalterlichen waren, die da
modern redeten, sondern daß allenfalls die Modernen da ein
bißchen mittelalterlich dachten. Ich frage mich eher, ob ich
meinen Personen nicht manchmal ein etwas zu weitgreifendes
Kombinationsvermögen verliehen habe, das heißt eine Fähig-
keit, aus den disiecta membra ganz und gar mittelalterlicher
Gedanken ein paar begriffliche Hirngespinste zusammen-
zufügen, die das Mittelalter so nicht als die seinen anerkannt hätte. Doch ich glaube, daß ein historischer Roman auch dies
tun muß: nicht nur in der Vergangenheit die Ursachen dessen
aufspüren, was in der Folge entstanden ist, sondern auch den
Prozeßverlauf angeben, durch den jene Ursachen dann all-
mählich begannen, ihre Wirkungen zu zeitigen.
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Wenn einer von meinen Mönchen durch den Vergleich zweier
mittelalterlicher Ideen auf eine dritte modernere kommt, so tut er
genau das, was »die Kultur« in der Folge getan hat — und
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