Nachschrift zum Namen der Rose
eine
bestimmte Gangart, sonst kommt man bald aus der Puste und
bleibt zurück. Das gleiche geschieht in der Poesie. Man denke
nur an die Unerträglichkeit jener Gedichtvorträge von Schau-
spielern, die, um zu »interpretieren«, das Metrum mißachten,
mit rezitativen enjambements die Versenden überspringen, als
ob sie Prosa vortrügen, und den Inhalt wichtiger
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nehmen als den Rhythmus. Wer ein Gedicht in elfsilbigen Terzi-
nen vortragen will, muß den singenden Rhythmus annehmen,
den der Dichter gewollt hat. Lieber Dante aufsagen, als ob es
Kinderreime von Annodazumal wären, als auf Biegen und
Brechen hinter dem Sinn herlaufen.
In Prosaerzählungen wird der Atem nicht den Satzgliedern
anvertraut, sondern größeren Einheiten, Szenen oder Ereignis-
sequenzen. Manche Romane atmen wie Gazellen, andere wie
Wale oder Elefanten. Die Harmonie liegt nicht in der Länge der
Atemzüge, sondern in ihrem Gleichmaß; auch weil und damit
dann - wenn der Atem an einem bestimmten Punkt (aber nicht
zu oft) stockt und ein Abschnitt oder Kapitel endet, bevor ganz
»ausgeatmet« worden ist - dies eine wichtige Rolle in der
Ökonomie des Erzählens gewinnen, einen Abbruch oder
Szenenwechsel markieren kann. So jedenfalls sehen wir es bei
den Großen: Ein Satz wie »la sventurata rispose« - Punkt und
Neubeginn — hat nicht den gleichen Rhythmus wie ein »Addio
monti« 14, aber wenn er kommt, ist es, als würde der schöne
lombardische Himmel blutrot. Ein großer Roman ist einer, in
dem der Autor stets weiß, wann er beschleunigen und wann er
bremsen muß und wie er diese Pedaltritte bei konstantem
Grundrhythmus zu dosieren hat. Auch in der Musik gibt es
solche Pedaltritte, man kann die Tempi »raffen« (rubare), doch wer zuviel rafft, wird einer von jenen schlechten Pianisten, die
meinen, um Chopin zu spielen, genüge ein exzessives Rubato.
Ich spreche hier nicht davon, wie ich meine Probleme
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gelöst habe, sondern wie ich sie mir gestellt habe. Und wenn ich
sagen würde, ich hätte sie mir bewußt gestellt, wäre das eine
Lüge. Es gibt ein kompositorisches Denken, das auch durch den
Rhythmus der Finger auf den Tasten der Schreibmaschine
denkt.
Ein Beispiel mag zeigen, wie das Erzählen ein Denken mit
den Fingern sein kann. Es ist klar, daß die Szene mit Adsons
Liebeserlebnis in der nächtlichen Küche aus lauter religiösen
Zitaten zusammenmontiert ist, vom Lied der Lieder bis zu
Bernhard von Clairvaux, Jean de Fecamp und Hildegard von
Bingen. Auch wer keine Erfahrung mit hochmittelalterlicher
Mystik hat, aber ein bißchen Ohr, wird das gemerkt haben.
Doch wenn ich heute gefragt werde, von wem die Zitate im
einzelnen sind und wo das eine aufhört und das andere beginnt,
kann ich es nicht mehr sagen.
Ich hatte mir nämlich Dutzende von Zetteln mit Auszügen
aus allen möglichen Texten, mehrere Bücher und einen Haufen
Fotokopien bereitgelegt, viel mehr, als ich dann wirklich
benutzte. Aber als ich ans Schreiben ging, schrieb ich die Szene
in einem Zug nieder (erst später habe ich sie gefeilt und gleich-
sam mit einer Glasur überzogen, um die Nahtstellen noch etwas
besser zu tarnen). Und während ich schrieb, die Texte kunter-
bunt um mich her, fuhr ich mit den Augen ständig von einem
zum anderen, holte mir da ein Zitat und dort ein Zitat und
verschweißte jedes sofort mit dem nächsten. Kein anderes
Kapitel des Buches habe ich in der ersten Fassung so rasch
heruntergeschrieben wie dieses. Später begriff ich, daß ich
versucht hat-
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te, mit den Fingern dem Rhythmus des Liebesaktes zu folgen,
weshalb ich nicht anhalten konnte, um mir das »richtige« Zitat
herauszusuchen. Was ein Zitat an einer gegebenen Stelle richtig
machte, war der Rhythmus, in dem ich es einmontierte, ich
schied mit den Augen aus, was den Rhythmus der Finger gestört
hätte... .Es wäre zuviel gesagt, wenn ich behaupten würde, daß
die Niederschrift des Geschehens nicht länger gedauert hatte als
das Geschehen selbst (obwohl es ja Liebesakte von beträcht-
licher Dauer gibt), aber ich war bestrebt; die Differenz zwischen
der Dauer des Aktes und der des Schreibens so weit wie
möglich zu verringern. Und ich meine hier nicht das Schreiben
im Barthesschen Sinne der écriture, sondern im praktischen
Sinne dessen, der tippt, ich spreche vom Schreiben als einem
materiellen, physischen Akt. Und ich spreche von Rhythmen
des Körpers, nicht von Emotionen. Die Emotion, längst
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