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Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)

Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)

Titel: Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Heinze
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zweiten OP könnte ich wieder auf dem Platz stehen und voll trainieren. So war zumindest der Plan. Ich hatte aber nach den beiden Operationen immer noch Schmerzen. Jetzt nicht mehr an derselben Stelle wie zuvor, sondern an den Narben, die der chirurgische Eingriff hinterlassen hatte. Sie sahen nicht besonders ungewöhnlich aus, beide vielleicht etwas mehr als fünf Zentimeter lang, symmetrisch zueinander angeordnet, in der unteren Bauchgegend, knapp über dem Schambereich. Ab hier begann dann wieder das große Rätselraten.
    Ich ließ mich von meinem Physiotherapeuten bei Bayern behandeln, meistens mehrere Stunden am Tag. Ich sah den Mann damals öfter als alle meine Freunde und die Familie zusammen und entwickelte ein sehr vertrautes Verhältnis zu ihm. Der Gute gab sich wirklich die größte Mühe und zeigte wahren Ehrgeiz. Er versuchte alles. Das war nicht immer angenehm, manchmal sogar die reinste Tortur. Es gab zwar auch viele Tage mit sanften Massagen der Narben, lustig kitzelnder Strombehandlung, nicht spürbarem Ultraschall oder angenehmer Lockerung der umliegenden Muskulatur. Doch immer öfter musste ich auch extrem schmerzhafte Massagen über mich ergehen lassen, bei denen selbst der härteste Kerl laut aufgeschrien hätte und die mir dicke Striemen in die Haut pressten, welche noch Tage später deutlich erkennbar waren.
    Da der Körper nun mal ein erstaunliches Gebilde ist, in dem alles miteinander zusammenhängt, geriet ich eines Tages sogar in den zweifelhaften Genuss einer Kieferbehandlung durch meinen Physiotherapeuten. Selbst dort suchte er nach einem Ansatz für meine Probleme an den Narben. Er drückte von außen mit voller Kraft an Stellen meiner Wangen- und Kieferknochen herum, die ich vorher gar nicht gekannt hatte und welche solch einen Schmerz verursachten, dass ich dachte, mein Gesicht würde danach nie mehr das alte sein.
    Meine Visage blieb dann vorerst doch die gleiche. Aber auch dieser Versuch blieb ohne Wirkung. Keine Besserung. Nicht einmal eine minimale Veränderung. Es war immer das Gleiche. Im Alltag beim normalen Gehen hatte ich keinerlei Probleme. Sobald ich mich aber etwas schneller fortbewegen wollte, kam dieser fiese, ziehende Schmerz unter den Narben auf. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich versucht habe, in dieser Zeit locker ein paar Runden zu laufen. Ich musste jedes Mal wütend abbrechen und anschließend geknickt zurück in die Kabine schleichen.
    Wenn jemand einen Tipp braucht, wo sich in München diverse Ärzte befinden, der kann getrost mich fragen. In den kommenden Monaten tingelte ich kreuz und quer durch die ganze Stadt. Der Verein hatte natürlich ein gutes Netzwerk, und so kam ich auch zu den namhaftesten Medizinern. Geholfen hat es aber nichts. Ich weiß gar nicht mehr, wo ich überall war. Ich ließ mir Dutzende Male irgendwelche Spritzen in die Narben rammen, war mehrfach beim Orthopäden, beim Osteopathen, sogar beim Neurologen und weiß Gott, wo noch alles. Niemand konnte mir sagen, was es ist. Jeder hatte eine andere Vermutung für die Ursache der Schmerzen, aber keiner hatte Erfolg bei deren Behandlung. Immer wieder aufkeimende Hoffnung, eine mögliche Lösung in Sichtweite. Und immer wieder kurz darauf die nächste Enttäuschung. Mein Tagesablauf bestand darin, mich entweder den halben Tag behandeln zu lassen oder von einer Arztpraxis in die nächste zu fahren.
    Wenn du so lange verletzt bist, erkennst du irgendwann, dass du in dieser Zeit nur für dich alleine kämpfen kannst. Und musst. Du bist in solch einer Situation schlichtweg ein Einzelsportler. Die Behandlungen fanden auf dem Trainingsgelände an der Säbener Straße statt, besser gesagt, im Raum direkt gegenüber der Amateur-Kabine. Ich kam also schon immer wieder in Kontakt zu meinen Kollegen, aber das war nicht dasselbe. Du kommst nach einer Weile einfach nicht mehr mit. Einzelne Strömungen und sogar Hierarchien ändern sich schnell in einer Mannschaft. Immer wieder kommen neue «Insider-Witze» dazu, die nur die Beteiligten kennen. Bist du monatelang raus aus den täglichen Abläufen, dann kannst du einfach nicht mehr mitreden. Saß ich mal mit in der Kabine, weil sich die Trainingszeit mit einer meiner Behandlungen überschnitt, dann war das ein ganz unangenehmes Gefühl. Ich fühlte mich ewig weit weg von meiner Truppe und nicht mal mehr als Teil von ihr. Ich war enttäuscht, dass mich auch meine «Freunde» aus dem Team langsam vergaßen. Dass sie sich überhaupt nicht mehr bei mir

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