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Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)

Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)

Titel: Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Heinze
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meldeten, obwohl sie wissen, oder zumindest ahnen, mussten, wie schlecht es mir ging. Nicht einmal nach meinen Operationen hatte jemand mal kurz im Krankenhaus vorbeigeschaut. Ich war also ohnehin richtiggehend wütend auf einige. Vor diesem Hintergrund und gepaart mit meiner eigenen Verzweiflung, hatte ich das Gefühl, schlechte Stimmung zu verbreiten, was ich auch wiederum nicht wollte. Daher zog ich mich noch weiter zurück. Ein Teufelskreis.
    Am schlimmsten machte mir aber diese fürchterliche Ungewissheit zu schaffen. Ich wusste nicht, was es war, und schon gar nicht, wie lange es dauerte. Irgendwann auch nicht, ob es jemals wieder weggehen würde. Ich fühlte mich hilflos, denn es gab keinen wirklichen Behandlungsplan, an den ich mich klammern oder den ich erfüllen konnte. Alles, was ich wusste, war, dass meine Narben bei Belastung höllisch weh taten und dieser verdammte Schmerz einfach nicht verschwinden wollte.
    Diese Zeit war so hart für mich, dass ich nach und nach ernsthafte Probleme bekam, das Ganze mental zu verarbeiten. Es gab Wochen, in denen ich meine Wohnung nur noch für die Behandlungen oder zum Einkaufen verließ. Ansonsten blieb ich alleine daheim und schaute fast den ganzen Tag versunken diverse Fernsehserien auf DVD an. Bloß raus aus der Realität, egal, wie. Die Schule konnte schließlich nicht mehr als Ablenkung herhalten. Ich kapselte mich ab, meine Eltern und Freunde kamen nicht mehr an mich heran, auch wenn ich sie ab und zu noch anrief, doch nur aus reinem Pflichtbewusstsein. Ich war am Boden. Der Tiefpunkt war erreicht, als eines Tages ein behandelnder Arzt zu mir sagte, ich solle mich langsam mit dem Gedanken anfreunden, vielleicht nie mehr Fußball spielen zu können. In so einem Moment fühlt man erst nichts und sich danach einfach nur einsam und hilflos.
    Eine der zahlreichen Vermutungen war, dass sich unter den Narben zu viel Gewebe gebildet hatte und die Schmerzen daher rührten. Also folgte Operation Nummer drei, um das Gewebe zu entfernen. Ich schöpfte neue Hoffnung. Wenige Stunden nach dem Eingriff lag ich alleine in meinem Krankenhauszimmer und schaute fern. Die Nachwehen der Narkose hatte ich überstanden, aber es war schon spät, und langsam wurde ich müde. Auf einen Schlag aber wurde ich extrem schläfrig und fühlte mich plötzlich sehr schwach. Dazu kam ein seltsames Druckgefühl in meiner rechten Narbe. Ich hob den Bund meiner Unterhose leicht an, um nach dem Rechten zu sehen. Da sah ich, dass an dieser Stelle die Narbe angeschwollen war. Sie hatte in etwa die Größe eines Tennisballs. Trotz Schwächegefühls geriet ich doch ziemlich in Panik und drückte den Notknopf.
    Die Schwester erschrak fürchterlich und rannte, quiekend wie ein Schweinchen, wieder hinaus, um einen Arzt zu holen. Es war nur ein unerfahrener Assistenzarzt vor Ort, um diese späte Zeit war niemand anderes mehr da. Er überlegte eine Weile, was zu tun war. Dann endlich betäubte er die Stelle lokal mit einer Spritze und machte einen sauberen Schnitt mit dem Skalpell quer durch dieses Ungetüm von einer Narbe. Ich lag weiterhin einfach da, benommen und mit dem Blutdruck eines Blauwals. Da der Kopf des Bettes immer noch aufgestellt war – ich hatte schließlich ferngesehen –, hatte ich auch noch den besten Blick auf das Geschehen. Ich saß sozusagen in der Ehrenloge bei meiner eigenen Notoperation und musste mit ansehen, wie der Arzt nach dem Schnitt das ganze Blut wie bei einem riesigen Pickel rausquetschte. Danach war aus meinem blütenweißen Laken ein rotes geworden, und selbst die Wand hinter mir hatte den einen oder anderen herzhaften Spritzer abbekommen.
    Bei allem Ärger über diese ganze Verletzungsgeschichte bin ich froh, dass dieser Tag glimpflich endete. Eine Arterie war geplatzt und hatte das Chaos verursacht. Die Wahrscheinlichkeit für solch eine Komplikation ist verschwindend gering, sagte der Arzt, von dem ich bis heute nicht weiß, ob er nicht einfach nur gepfuscht hatte. Mir war mein Glück gar nicht richtig bewusst, bis mir die Schwester am folgenden Tag erklärte, dass ich gut daran getan hatte, noch etwas fernzusehen. Denn wäre ich eingeschlafen, hätte ich vermutlich nichts bemerkt und wäre unter Umständen innerlich verblutet, ohne dass es jemand mitgekriegt hätte.
    Wenn es mir heute schlechtgeht, erinnere ich mich manchmal an diesen Tag. Und bin dann einfach dankbar.

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    14.5.
    Zeit heilt alle Narben
Die einfallenden Sonnenstrahlen lassen das

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