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Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)

Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)

Titel: Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Heinze
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und die Bekanntgabe seiner Krankheit auch sehr betroffen gemacht. Allein schon aus menschlicher Sicht.
    Aus sportlicher Perspektive gesehen sowieso. Eine Weile nach unserer Zeit in der Reha trainierte Sebastian für einige Wochen bei uns in der zweiten Mannschaft mit. Ich war zu dieser Zeit schon länger wieder im Training, meinen Narben ging es endlich gut. Er hingegen hatte sich soeben erst von seiner Verletzung erholt und wollte sich bei uns fit machen. Der Mann war also zu diesem Zeitpunkt nicht einmal im Vollbesitz seiner Kräfte. Aber was der auf dem Platz abzog, war gigantisch.
    Mehmet Scholl sprang gegen Ende meiner Zeit beim FC Bayern kurzfristig für wenige Wochen als unser Trainer ein, weil der damalige Coach bei den Profis als Co-Trainer gebraucht wurde. Ab und an schnappte er sich während des Trainings selbst einen Ball oder schoss nach der letzten Übung gemeinsam mit uns ein paar Freistöße auf das Tor. Auch wenn er als aktiver Spieler schon vor einiger Zeit zurückgetreten war, sah man in jeder seiner Bewegungen das außergewöhnliche Talent, mit dem er gesegnet war. Es war für uns alle allein in diesen wenigen Minuten ersichtlich, dass hier ein herausragender Spieler am Werk war. Abgesehen von diesen kurzen Erlebnissen mit Scholl kam ich im Laufe der Jahre immer mal wieder in den Genuss, eine Trainingseinheit mit großartigen Spielern zu absolvieren.

    David gegen Goliath: im Duell mit dem hünenhaften Luca Toni.
    Unter anderem stand ich mit Lukas Podolski auf dem Rasen, dem ich außerdem einmal an der Tischtennisplatte eine Niederlage beibrachte. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich spielte gegen weitere Stars mit außergewöhnlichen Fähigkeiten wie Franck Ribéry, Zé Roberto, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Luca Toni, Michael Ballack, Lucio und viele mehr. Aber der beste von allen war Sebastian Deisler. Mit Abstand.
    Er hat uns wie Slalomstangen stehen lassen und auf dem Rasen mit uns nahezu gemacht, was er wollte. Er war schlichtweg nicht zu stoppen, wenn er den Ball hatte. Dazu verstand er es, mit einer selten gegebenen Übersicht seine Mitspieler mit brillanten Pässen in Szene zu setzen. Zu seiner exquisiten Technik, mit deren Hilfe ihm der Ball wie im Schlaf zu gehorchen schien, gesellte sich noch eine explosive Dynamik in seinen geschmeidigen Bewegungen. Und an seine Schuss- und Flankentechnik reichte bei uns ebenfalls niemand heran. Kurz gesagt, es gab fast nichts, was der Kerl nicht konnte. Er war der einzige Spieler in all der Zeit, bei dem ich mich irgendwann nicht mehr ärgerte, wenn er mich ausspielte oder gegen meine Mannschaft ein Tor schoss. Denn er war einfach so gut, dass man das anerkennen musste. Bei manchen seiner Aktionen mussten wir Spieler uns sogar mitten im Training angrinsen und ungläubig den Kopf schütteln. Jedem von uns war klar, dass ein begnadetes Talent neben uns auf dem Feld stand.
    Am stärksten ist mir jedoch seine Spielfreude im Gedächtnis geblieben. Er sprühte in unserem Training nur so vor kreativen Ideen, machte intuitiv aus dem Bauch heraus die verrücktesten Bewegungen. Und vor allem, er lachte unglaublich viel. Dieser erwachsene Mann wirkte wie ein verspieltes Wunderkind, sobald er den Rasen betrat, und hatte einfach einen Heidenspaß, ohne sich um etwas zu scheren. Umso mehr schockte mich die Nachricht seines Karriereendes nur wenige Monate später.
    Lange Zeit hing ein eingerahmtes Plakat in meinem Zimmer mit dem Spruch von Bertolt Brecht: «Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.» Vor gut einem Jahr entsorgte ich das Bild. Ich las einmal in einem Artikel, dass sich Sebastian Deisler exakt denselben Spruch an die Wand gehängt hatte. Ich weiß nicht, ob es ihm genauso erging. Aber ich hatte jedenfalls genug gekämpft. Wahrscheinlich sogar zu viel, sodass vor lauter Wille und Ehrgeiz die Leichtigkeit im Leben außerhalb des Platzes irgendwann fehlte. Manchmal kann man eben tatsächlich auch verlieren, obwohl man kämpft.
Mein weiterer Weg verläuft über eine kaum befahrene Landstraße an malerischen Reisfeldern vorbei, auf deren Wasserschicht sich die umliegenden Palmen spiegeln. Ich durchquere Campuan, ein verschlafenes Künstlerdorf, und mein Rundgang führt mich wieder in Richtung Stadt. Schließlich erreiche ich nach etwa drei Stunden mein Zimmer, ein paar kleinere Irrwege und Pausen miteingerechnet.
Nach dem Duschen begebe ich mich in ein schmuckes Massagestudio ein paar Häuser weiter. Man gönnt sich

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