Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)
der alten Frau und gehe weiter auf das Reisfeld vor mir.
Kleine, sorgsam in gleichen Abständen eingesetzte Büschel bilden über dem schlammig nassen Boden einen riesigen Grünteppich. Ein paar hundert Meter weiter höre ich, ein wenig abseits des Feldes, vergnügte Schreie. Eine Gruppe einheimischer Kinder spielt Fußball. Auf einem Feld, auf dem in Deutschland nicht einmal ein Spiel in der untersten Amateurklasse angepfiffen werden würde. Der Rasen ist bei genauerer Betrachtung eher ein Sandkasten, in den sich gelegentlich kleine Grashalme verirrt haben. Die Jungs rennen barfuß einem blau-weißen Plastikball hinterher, der bei jedem noch so kleinen Windstoß seine Richtung schlagartig ändert. Die Kleinen starren mich mit großen Augen an, als ich ihnen zusehe. Kurzerhand ziehe ich meine Schuhe aus und betrete das Spielfeld.
Der Schauplatz meiner heldenhaften Bruchlandung. Oma inspiziert zuvor das Gelände um den auserkorenen Baum.
Die Jungs sind sofort Feuer und Flamme, weisen mich einer Mannschaft zu, und los geht’s. Ich schinde wohl ziemlichen Eindruck mit ein paar Tricks an dem komischen Ball und erziele einige Tore. Die Kinder sind begeistert. Ich aber bin nach zehn Minuten schweißgebadet und beende mein kurzes sportliches Intermezzo. Es ist definitiv viel zu schwül, um ordentlich Fußball zu spielen. Bevor ich weitergehe, posieren die Jungs und ich für ein Mannschaftsfoto, das einer der Älteren mit meiner Kamera knipst. Als ich es begutachte, muss ich kurz lachen. Denn wie wir da in zwei Reihen formiert stehen, kommt es einem professionellen Mannschaftsporträt erstaunlich nahe. Die Kleinen winken mir eifrig und lachend hinterher. Lange nachdem ich das Reisfeld verlassen habe und weitergezogen bin, hallen noch immer laute Abschiedsgrüße meiner neuen Mannschaft nach.
Mein neues Team.
Die Jungs erinnern mich stark an die Kleinen aus dem Waisenhaus in Kalkutta. Auch sie waren unglaublich aufgeregt und erfreut, als wir sie damals besuchten. Bei meiner ersten Indienreise mit dem FC Bayern hatten wir ein Team des Bayerischen Fernsehens dabei. Ich wurde täglich interviewt und filmte mit einer Videokamera, die mir in die Hand gedrückt wurde, unsere Unternehmungen. Gemeinsam mit den beeindruckenden Bildern der mitgereisten Kameraleute ergab das am Ende eine interessante Dokumentation unserer Reise. Mit mir als Hauptperson, die ihre Erlebnisse und Eindrücke schildert.
Nicht von ungefähr war ich mit dieser Aufgabe betraut worden. Denn im Prinzip war ich nicht viel mehr als ein Tourist. Die Reise fiel in das Jahr der langwierigen Verletzung meiner Narben, und ich konnte weder mit der Mannschaft trainieren noch Spiele bestreiten. Und so leistete ich zumindest einen repräsentativen Beitrag für den FC Bayern, wenn schon keinen sportlichen. Im Nachhinein bin ich sehr froh darüber, diese Möglichkeit vom Verein bekommen und diese wertvollen Erfahrungen gemacht zu haben.
Nach unserer Rückkehr aus Indien ging es für mich bald in die Reha bei Olli Schmidtlein. Da er eigentlich für die Verletzten aus der ersten Mannschaft zuständig war, geriet ich zwangsläufig immer mal wieder mit einem der Profis in Kontakt. Zu dieser Zeit befand sich auch Sebastian Deisler im Aufbautraining nach einer erneuten Knieverletzung. Seine Geschichte sollte hinreichend bekannt sein. Er musste seine Karriere frühzeitig beenden, weil er an einer Depression erkrankt war. Ob es an dem unmenschlichen Druck für ihn lag, der in den Medien damals aufgebaut wurde, ob die zahlreichen Verletzungen dafür verantwortlich waren, die ihm vielleicht wiederum wegen seines mentalen Befindens widerfuhren oder ob es einfach eine Krankheit war, die früher oder später ohnehin ausgebrochen wäre, kann ich nicht beurteilen. Tippen würde ich aus der Ferne auf eine Mischung aus allem, aber ein Urteil darüber steht mir nicht zu. Was ich sagen kann, ist, dass der Mensch Sebastian Deisler, so, wie ich ihn kennengelernt habe, ein sehr angenehmer war zu dieser Zeit.
Eines Tages unternahmen Olli, er und ich zur Abwechslung vom üblichen Programm bei herrlichem Wetter eine Radtour durch die Münchner Umgebung. Unser Kontakt beschränkte sich an diesem Tag, wie auch sonst, auf ein paar Sätze Smalltalk. Wahrscheinlich erinnert er sich heute gar nicht mehr richtig an mich. Doch trotz einer gewissen Distanz kann ich durchaus sagen, dass er ein höflicher Zeitgenosse und im Umgang sehr freundlich war. Deshalb haben mich sein überraschender Rücktritt
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