Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)
ihm haben Amar und ich aber ein ganz anderes Problem. Der Mann spricht kein Englisch. Das wurde uns eigentlich zugesagt und wäre sicher nicht das Schlechteste, denn verständigen sollte man sich vielleicht schon können, wenn man die halbe Nacht im Dunkeln einen Vulkan hochläuft. Er allerdings praktiziert formvollendet eine typisch balinesische Eigenschaft. Denn die meisten Leute hier gestehen möglichst keine Schwäche ein und sagen ganz ungerne nein. Anscheinend wird das als unhöflich angesehen. Nett gemeint, in manchen Fällen aber unangebracht. So versucht unser Guide gar nicht erst den Eindruck zu erwecken, kein Englisch sprechen zu können. Nach einer Weile aber kommen uns erste Zweifel.
Wir fragen ihn, ob denn der Weg nach oben sicher sei. Er sieht uns mit großen Augen an und sagt dann eifrig nickend und im Brustton der Überzeugung Ja. Als Nächstes fragen wir ihn, ob denn der Weg nach oben nicht doch zu gefährlich sei. Wieder ein kurzer fragender Blick und dann erneut ein kräftiges Ja wie von einem besonders überzeugten Ehegatten bei der Trauung. Spätestens jetzt wissen wir, dass der Kerl rein gar nichts versteht.
Nach der ersten Stunde macht Amar auf mich keinen guten Eindruck. Irgendwann kommt es mir vor, als würden wir mehr Pausen machen, als vorwärtszugehen, und mir kommen die ersten Zweifel, ob der Junge das schafft. Ich frage ihn nach seiner Schuhgröße, er hat dieselbe wie ich. Ich biete ihm an zu tauschen. Er hat doch tatsächlich nur stinknormale Sneaker an. Meine nagelneuen Bergschuhe, die ich in München eigens für die Tour gekauft und in meinen Rucksack gequetscht hatte, geben ihm für kurze Zeit Auftrieb. Doch nach einer Weile verpufft auch dieser Effekt. Unser Tempo nähert sich immer mehr dem eines Fußballers, der in der Nachspielzeit ausgewechselt werden soll, wenn die eigene Mannschaft in Führung liegt.
Dabei gebe ich wirklich alles. Ich rede Amar immer wieder gut zu, motiviere ihn so gut ich kann. Vor lauter Verzweiflung bringe ich sogar seine Freundin ins Spiel, die jetzt sicher unglaublich stolz auf ihn wäre. Ganz bestimmt. Mir ist jedes Mittel recht, ich will da hoch. Irgendwann aber ist mein Repertoire erschöpft. Der Weg wird immer rutschiger und vor allem steiler. Amar pumpt wie ein Maikäfer und fällt ständig hin. Der Guide und ich können ihn mehrmals nur mit Mühe davon abhalten, den abschüssigen Pfad hinunterzupurzeln. An dieser Stelle wird die Sache zu heikel und die Gefahr zu groß, dass er sich verletzt.
Nachdem ich mich mit dem Guide nicht beraten kann, entscheide ich eben selbst, dass es keinen Sinn mehr macht. Amar wirkt einsichtig, und auch der Guide scheint erleichtert, als er kapiert, dass wir umdrehen. Alleine, ohne Unterstützung, hochzugehen, ist zu gefährlich, weil ich den Weg nicht kennen würde, sobald ich den Wald verließe. Amar ohne Guide hinunterzuschicken kommt noch weniger in Frage. Also mache ich zähneknirschend kehrt. In unseren gut zweieinhalb Stunden Fußweg sind wir nicht einmal aus dem Wald herausgekommen, mit Aussicht war also rein gar nichts. Wie ferngesteuert stapfe ich den Weg hinab.
Es geht mir einfach nicht in den Kopf, wie man sich und die eigene Leistungsfähigkeit dermaßen überschätzen kann. Amar hat überhaupt keine Kondition und null Körperbeherrschung. Ist nicht weiter schlimm, aber dann mache ich auch nicht so eine Tour. Am Parkplatz angekommen, wecken wir unseren Fahrer auf, der sich im Wagen leicht bekleidet eine Mütze Schlaf gönnt. Er schaut einigermaßen verstört drein ob unserer frühzeitigen Rückkehr, während er sich wieder vollständig anzieht.
Auf der Fahrt teilt er uns mit, dass ihm der Guide aus Erfahrung sagen konnte, dass Amar es mit Sicherheit nicht geschafft hätte. Insofern war die Entscheidung absolut richtig. Ein kleiner Trost immerhin, wenn auch ein sehr schwacher. Im Wagen entschuldigt sich Amar mehrfach und aufrichtig bei mir. Im Prinzip ist er charakterlich einwandfrei. Er scheint nicht nur peinlich berührt aufgrund der Fehleinschätzung seiner eigenen Athletik, sondern hat offenkundig auch ein äußerst schlechtes Gewissen. Nichtsdestotrotz kann ich meine Wut nur mühsam im Zaum halten. Ich sage ihm in aller Deutlichkeit, dass ich unbedingt da hoch wollte und nicht verstehen kann, wie er sich dermaßen überschätzen konnte. Als ich noch einen draufsetze und ihn frage, ob er denn dachte, dass wir einen Parkspaziergang machten, scheint er für einen Moment den Tränen nahe zu sein. Da wird
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