Nachsuche
Einstiche befinden sich alle an ihrem rechten Oberschenkel. Ob die Zuckerkrankheit für ihren Tod verantwortlich ist, wird erst nach der chemischen Untersuchung feststehen.«
»Wir können uns bei den Ärzten in der Umgebung umhören«, sagt Noldi hoffnungsvoll.
»Ja, mach das«, antwortet der Chef.
Noldi schaut ihn fragend an.
»Es ist dein Fall«, sagt Beer. »Wenn es überhaupt ein Fall sein sollte.«
»Aber wir sind uns doch einig«, unterbricht ihn Noldi hitzig. »Etwas ist faul an der Sache.«
»Ja, ja, ich weiß. Wie ist sie allein in diesem Aufzug in den Wald gekommen?«
»Hat man ihre Schuhe gefunden?«, platzt Noldi heraus.
»Ihre Schuhe?«, fragen zwei Kollegen wie aus einem Mund.
»Ja, ihre Schuhe«, bestätigt Noldi. »Was steht über ihre Schuhe in dem Bericht?«
Der Chef wirft einen Blick in die Papiere.
»Nichts«, sagt er. »Man hat Plastikpartikel an ihrem Körper gefunden, aber auch die müssen erst genauer untersucht werden.«
»Sie hat keine Schuhe angehabt.« Noldi sagt es mehr zu sich selbst. Er erinnert sich, das war die erste Frage, die Meret stellte, als er ihr von der Toten im Wald erzählte.
Dann schaut er in die Runde.
Oskar Kohler in der Ecke lacht. »Noldi, der Schuhfetischist.«
Jetzt lachen alle.
Noldi nimmt es ihnen nicht übel. Er weiß, sie sind erleichtert, weil die Sache an ihm hängen bleibt. Das bedeutet Arbeit und viel Ärger. Mit einem Wort, ein undankbares Geschäft. Wenn auch kein Hahn nach der Ärmsten kräht, gibt es einen ungelösten Fall und das bedeutet einen Schönheitsfehler in der Personalakte.
Franz neben ihm klopft ihm auf die Schulter.
»Wenn sie gesponnen hat, waren ihr Schuhe wahrscheinlich egal.«
»Zugegeben«, sagt Noldi, »aber was steht im Protokoll, wie schauen ihre Fußsohlen aus?«
»Da hast du den Bericht.«
Beer reicht ihm den Umschlag über den Tisch.
»Übrigens«, sagt er abschließend, »das einzige besondere Merkmal an ihr ist, dass ihre beiden Ohren asymmetrisch sind. Das rechte sitzt eineinhalb Zentimeter tiefer als das linke. Ein so großer Unterschied ist selten.«
Bevor die Besprechung sich anderen Fällen zuwendet, sagt Noldi: »Können wir nicht wenigstens ihr Foto in den Medien veröffentlichen? Vielleicht bringt das etwas.«
»Ja, das sollten wir tun«, stimmt Beer ihm zu. »Inzwischen kannst du für Befragungen vielleicht eines von den Tatortfotos nehmen.«
In der Jackentasche ein solches Foto, auf dem die Tote halbwegs normal aussieht, fährt Noldi zurück ins Tösstal. Es hat zum ersten Mal in diesem Jahr geschneit. Früh und nicht viel, aber die Fahrbahn ist schneebedeckt, in den falschen Palmen vor dem Hotel Pamplona hängt nasser Matsch. Auch die schwarze Perücke der überlebensgroßen Puppe, die nur mit Netzstrümpfen bekleidet neben dem vorderen Eingang sitzt, ist verklebt. Ihr Gesicht zeigt helle Spuren, wo ihr der Schnee über die vom Straßenstaub grauen Wangen geronnen ist.
Noldi hat die Figur immer unappetitlich gefunden, doch heute kommt ihm bei ihrem Anblick eine verblüffende Idee.
Kurz entschlossen biegt er von der Tösstalstrasse auf den Parkplatz hinter dem Hotel ein. Er stellt den Wagen ab, schaut sich um. Bis jetzt hat er in dem Etablissement weder dienstlich noch privat zu tun gehabt. Auf der Website ist extra ein diskreter Hintereingang vermerkt. Noldi sucht ihn, findet die Tür nur angelehnt. Er stößt sie auf und staunt. Das Haus wirkt innen überraschend gediegen. Da erinnert er sich, sein Kollege Franz hat ihm die Bar im oberen Stockwerk wärmstens empfohlen. Unten gehe es anders zu, intimer, hat er gesagt und gelacht, aber oben kannst du in aller Ruhe dein Bier trinken. Es kommt dich nicht teurer als anderswo.
Jetzt ist alles außer Betrieb, nur der Geschäftsführer sitzt in seinem Büro. Der Mann ist zwischen vierzig und fünfzig, mittelgroß, schmal gebaut, aber vorne hängt ihm wie eine Beule der Bauch heraus. Die Lippen unter dem tiefschwarzen Schnauz sind unnatürlich rot. Beim Reden stülpt er sie immer wieder leicht vor, was auf Noldi einen obszönen Eindruck macht.
Er redet nicht lange herum. Stehend legt er das Foto der Toten auf den Tisch. »Kennen Sie diese Frau?«
Der Mann betrachtet das Bild, dann schaut er zu Noldi hoch, schüttelt den Kopf, verständnislos.
»Das Bild ist nicht sehr scharf«, sagt er entschuldigend und bemüht sich um einen treuherzigen Blick. Trotzdem ist Noldi geneigt, ihm zu glauben.
Rüdisühli allerdings trifft das Foto, als er es am
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