Nachsuche
fröhlich und leckt ihm blitzschnell das Gesicht. Etwas, das der Onkel streng verboten hat.
»Lass dich ja nicht vom Hund ablecken«, sagt er immer. »Fang gar nicht damit an. Ein anständiger Hund tut so etwas nicht. Das muss klar sein.«
Diesmal ist Pauli froh über Bayjs Anteilnahme. Der Schreck sitzt ihm noch in den Gliedern. Neben ihm scharrt der Hund in der Erde. Dann wird er aufgeregt und winselt leise. Pauli denkt, Bayj will ihm was zeigen. Er rappelt sich hoch, schiebt mit dem Fuß das nasse Laub beiseite. Unter der Wurzel, die seinen Sturz aufgehalten hat, liegt etwas. Er holt das Ding hervor und reibt es zwischen den Fingern blank. Es ist eine kleine Figur, weiß, aus Glas oder Kristall, vielleicht vier Zentimeter hoch, mit einer Öse auf dem Kopf, in der ein abgerissenes Lederband hängt.
Wie er es vom Onkel gelernt hat, lobt er den Hund.
»Brav Bayj«, sagt er, »brav.«
Er ist hin- und hergerissen zwischen der Freude über den Fund und dem Zweifel, ob er tatsächlich von der toten Frau stammt. So ein komisches Ding. Das kann von jedem sein, der hier herumgestiegen ist. Er hat sich etwas Eindeutiges erhofft. Am liebsten wäre ihm eine Geldbörse mit Namen und Adresse gewesen.
Plötzlich bemerkt der Junge, dass es zu dämmern beginnt. Er steckt den Fund in den Hosensack und sagt zu Bayj: »Komm, wir müssen nach Haus.«
Sie kriechen den Hang zur Forststraße wieder hinauf. Oben traben sie, so schnell sie können, durch die einfallende Dunkelheit zurück Richtung Turbenthal. Pauli weiß, er hat keine Chance, daheim zu sein, bevor es finster ist.
Das war die einzige Bedingung, welche die Eltern wie auch der Onkel gestellt haben dafür, dass er allein mit Bayj in den Wald darf. Er muss vor dem Einnachten zurück sein.
»Stell dir vor, Bayj«, sagt er atemlos vom Laufen, »sie lassen uns nie mehr miteinander spazieren gehen.«
Bayj dreht beim Klang seiner Stimme den Kopf, lässt ein kurzes Bellen hören.
Andererseits, spekuliert Pauli, ist der Vater vielleicht froh über seinen Fund. Es könnte eine heiße Spur sein. Wenn die Figur wirklich der toten Frau gehört. Wenn. Während er so mit Bayj durch die zunehmende Dunkelheit hetzt, fürchtet er sich plötzlich bei dem Gedanken, dass da in diesem Wald eine Leiche gelegen hat.
Nachdem Rüdisühli gegangen ist, ruft Noldi im Löwen, Eschlikon an.
»Oberholzer, Polizeiposten Turbenthal«, meldet er sich.
»Hallo, Noldi«, sagt der andere erfreut.
Es stellt sich heraus, dass der neue Wirt ein alter Bekannter ist. Sie kennen sich vom Pistolenschießen.
»Seit wann bist du in Eschlikon?«, fragt Noldi.
»Schon über ein Jahr«, antwortet der andere.
»Ist das möglich?«, wundert sich Noldi. »So lange soll es her sein, dass ich mit Meret im Leuen war.«
»Das muss schon vor zwei Jahren gewesen sein«, rechnet ihm der andere vor. »Die Beiz war inzwischen fast ein Jahr zu. Mit dem alten Wirt ging gar nichts mehr. Dem ist die Frau ab. Da hat er alles schleifen lassen. Aber deshalb rufst du sicher nicht an.«
»Nein«, gibt Noldi zu. »Es handelt sich um eine Routinekontrolle. Ein gewisser Eduard Rüdisühli soll in der Nacht von Donnerstag auf Freitag letzte Woche mit dem Bauer Kofler aus Seelmatten bei dir einen Abschluss gefeiert haben.«
Der Wirt muss eine Weile nachdenken, dann sagt er: »Ja, stimmt. Die waren da.«
»Und haben sie gesoffen?«
»Der Kofler ja, der Rüdisühli nicht. Der säuft nie. Er sagt immer, er kann es sich bei seinem Beruf nicht leisten, seinen Führerschein zu verlieren.«
»Wann ist er gegangen?«, fragt Noldi gespannt.
»So gegen zehn.«
Also doch, denkt Noldi, da ist etwas faul.
Er dankt dem Wirt für die Auskunft, verspricht, bald einmal mit der Frau vorbeizuschauen, und legt auf. Dann rechnet er im Kopf nach. Selbst wenn Rüdisühli erst um elf geht, wieso ist er dann um halb fünf in der Früh im Neubrunnertal unterwegs, wo er doch in Wil wohnt?
Er holt das Blatt mit dem Namen Rüdisühli hervor und schreibt die Aussage des Wirts mit Zeit und Datum auf. Außerdem notiert er, wo der Mann gewesen sein will, bevor die Leiche gefunden wurde, und schreibt dazu, dass die Aussage überprüft werden muss.
Dann ist Zeit für den Feierabend. Noldi versorgt den Ordner mit dem Fall Neubrunnertal in einer Schublade, sperrt sie ab, steht auf und schiebt den Stuhl an den Schreibtisch. So ordentlich ist er sonst nicht, aber beim Trödeln kann er gut denken. Leider fällt ihm nichts Zündendes ein, das ihn
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