Nachsuche
nächsten Morgen in der Zeitung sieht, wie ein Schlag. Er hat gerade im Gasthof zur Linde in Turbenthal eine Pause zwischen zwei Kundenbesuchen eingelegt. Entsetzt lässt er seinen Kaffee stehen, zahlt und setzt sich ins Auto. Dort holt er sein Geheimhandy hervor und ruft die Freundin an.
Hast du das Foto in der heutigen Zeitung schon gesehen, fragt er ohne Begrüssung.
»Nein«, antwortet sie, überrascht von seinem Ton.
»Stell dir vor, es ist Berti. Tot. Sie haben ihre Leiche gefunden, wissen aber nicht, wer sie ist. Kein Wort zur Polizei, dass du sie kennst. Wenn herauskommt, dass du und ich etwas miteinander haben, dreht meine Frau durch. Entweder sie bringt sich um oder sie lässt sich scheiden. Und du weißt, noch eine Scheidung kann ich mir bei bestem Willen nicht leisten. Es wäre mein Ruin.«
Ilse Biber ist erschrocken. Sie verspricht ihrem Geliebten hoch und heilig, alles zu tun, was er verlangt. Nach seinem Anruf zieht sie sich an und stürzt zum nächsten Kiosk. Noch auf der Straße schlägt sie die Zeitung auf. Das Bild ihrer Freundin Berti ist schlecht. Es zeigt ein blasses, rundes Gesicht mit geschlossenen Augen. Das ist schon alles. Nichtssagend, findet Ilse, wie diese Zeitungsfotos sind. Aber eine Schönheit war Berti noch nie.
Auch für Pauli gibt es eine Schreckensmeldung. Hans Hablützel ruft an und fragt, ob Bayj zufällig bei ihnen sei. Er ist seit zwei Tagen nicht nach Hause gekommen.
Pauli fährt mit dem nächsten Zug nach Turbenthal, rast zum Onkel.
»Erzähl«, sagt er aufgeregt und lässt sich neben ihn aufs Sofa fallen, auf den Platz, wo Bayj sonst immer liegt.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, antwortet der Onkel.
Er sei mit Bayj oben auf dem Ramsberg gewesen. Nachdem es geschneit hatte, wollte er die Futterkrippen inspizieren. Sobald mehr Schnee liegt, wird er die Rehe im Revier wieder füttern. Da ist ihm der Hund ab und trotz Rufen und Pfeifen nicht wiedergekommen.
»Schließlich«, sagt Hans, »bin ich nach Hause gegangen. Hab mir gesagt, der kommt schon noch.«
Als er sieht, wie fassungslos der Junge ist, beruhigt er ihn.
»Du musst dir keine Sorgen machen, Pauli. Das hat er schon einmal gemacht. Du erinnerst dich nicht mehr. Ihr wart damals in den Skiferien. Bayj war eine ganze Woche weg. Reiner Zufall, dass ich ihn wiedergefunden habe. Die Situation war ähnlich wie vorgestern, nur lag viel mehr Schnee. Und weißt du, Schnee ist so eine Sache. Da kann ein Hund schon einmal die Spur verlieren. Ich habe gerufen, gepfiffen, gesucht. Schließlich bin ich nach Haus. Ich dachte, bestimmt wird er am Morgen vor der Tür stehen. Aber Bayj kam auch am nächsten Tag nicht. Da habe ich angefangen, herumzutelefonieren, mit den Bauern in der Umgebung, habe mit den Jägern geredet, damit sie mir den Hund nicht abschießen, wenn sie ihn allein im Wald antreffen. Niemand hat ihn gesehen. Dann war ich durch Zufall in einer Beiz, im Dreispitz in Wila. Da höre ich, wie am Nebentisch zwei darüber reden, dass die Nachbarin plötzlich einen Hund hat. Ich hin zu ihnen und frage, wo diese Nachbarin wohnt. Sie sagen, gleich da an der Feldstraße. Als ich dort ankomme, war es wirklich mein Bayj. Er lag in einem wunderbar gepolsterten Hundekorb in der Stube. Mich hat er kaum beachtet. Die Frau erzählte, der Hund sei eines Morgens vor ihrer Tür gestanden, struppig und offensichtlich ausgehungert. Es war, sagte sie, Liebe auf den ersten Blick. Als ich ihr klar mache, dass es sich um meinen Hund handle und ich als Jagdaufseher auf ihn angewiesen sei, weint sie und bittet mich, ihn ihr noch ein paar Tage zu lassen. Am Sonntag kam sie dann wie versprochen. Sie weinte wieder, aber du kannst dir vorstellen, wie sehr ich mich gefreut habe, dass der Bayj wieder da war. Und ich glaube, er hat sich auch gefreut.«
»Aber«, fragt der Junge ängstlich, »was, wenn er verletzt ist oder tot?«
Meret hat sich angewöhnt, die Hosensäcke ihres Jüngsten zu kontrollieren, bevor sie seine Jeans in die Waschmaschine steckt. Pauli ist ein eifriger Sammler, und bis auf lebende Frösche hat sie schon so ziemlich alles zutage gefördert. Auch diesmal findet sie etwas, eine kleine Figur.
»Woher hast du die?«, fragt sie, als Pauli aus der Schule kommt.
»Gefunden«, antwortet er einen Lidschlag zu langsam.
»Und wo?«
»Auf der Straße. In Rikon. Ich glaube, es ist ein Buddha.«
»Ja«, sagt sie, »aber ein merkwürdiger, er hat zwei Brüste.«
Pauli wundert sich einmal mehr über seine Mutter. Sie
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