Nachsuche
weiterbrächte. Deshalb beschließt er, auf dem Heimweg seinen Sohn beim Schwager abzuholen. Er ruft Betti an, doch der Junge ist noch nicht zurück.
Als Pauli endlich bei Hablützels läutet, ist es stockfinster. Die Tante öffnet und sagt: »Mein Gott, Kind, wo warst du so lange? Wir haben uns solche Sorgen gemacht. Dein Vater hat nach dir gefragt.«
»Es ist neblig«, murmelt Pauli. »Wir haben uns verirrt. Bitte, Tante«, fleht er, »kannst du nicht schnell zu Hause anrufen und sagen, ich bin schon im Zug nach Rikon.«
Betti fragt sich, was passiert ist. Wo der Junge war. Aber sie sagt nichts davon, dass Bayj sich niemals im Jagdrevier verirren würde. Sie gibt ihrem Neffen einen Kuss, verspricht: »Mach ich, und jetzt lauf! Da erwischst du den Zug noch.« Pauli streichelt Bayj ein letztes Mal und stürzt davon. Er hofft, vor seinem Vater zu Hause zu sein.
Er hat aber Pech. Als er in Rikon ankommt, steht dessen Wagen schon vor der Tür.
Noldi hat am Telefon bereits gehört, dass sein Sohn sich auf dem Schnurberg verirrt habe. Also muss der Junge jetzt dabei bleiben, sonst steht er als Lügner da. Und mit seinem Fund, der kleinen Buddhafigur, kann er erst recht nicht herausrücken. Das kränkt ihn zwar, lässt sich aber im Moment nicht ändern.
Meret kommentiert die Verspätung ihres Jüngsten nicht. Sie fragt nur, ob er seine Hausaufgaben erledigt habe.
»Ja fast«, antwortet Pauli diplomatisch. Er verschwindet blitzschnell in sein Zimmer und schlägt das Mathematikheft auf. Als Noldi kommt, sieht er, wie sein Sohn auf einer Seite herumkritzelt.
»Was ist das?«, fragt er.
»Eine Gleichung«, antwortet Pauli kleinlaut aber mit fester Stimme.
»Das Geschmier da«, sagt Noldi fassungslos.
»Keine Sorge«, beschwichtigt ihn sein Sohn, »ich kriege das hin.«
Noldi zieht sich, wortlos vor Empörung, in die Stube zurück und setzt sich vor den Fernseher.
In Wahrheit hat Pauli auf seine Schwester Fitzi gezählt. Wenn es jemanden gibt, der ihm die Mathematik irgendwie näherbringen kann, ist sie es. Doch an diesem Abend bleibt sie bei einer Schulkollegin in Winterthur über Nacht.
Also, sagt sich Pauli seufzend, muss er selbst mit der Gleichung fertig werden. Er denkt eine Weile über eine Ausrede nach, die ihn morgen in der Schule retten könnte. Da ihm nichts einfällt, ist seine einzige Chance, alle möglichen Lösungsansätze der Reihe nach durchzuprobieren und zu hoffen, dass etwas dabei herauskommt.
Er ist mit dem Kopf nicht bei der Sache. Immer wieder holt er seinen oder eigentlich Bayjs Fund aus dem Hosensack, dreht das Figürchen ratlos zwischen den Fingern. Es könnte ein kleiner Buddha sein. Pauli weiß, was ein Buddha ist. Er wächst in Rikon auf, und im Dorf leben Tibeter, die Buddhisten sind. Oben auf halbem Weg nach Wildberg steht ihr Kloster. Aber etwas an der Figur ist anders als bei denen, die er im Kloster schon gesehen hat.
Endlich ruft die Mutter zum Abendessen. Sie sitzen nur zu dritt um den Tisch und Meret erzählt, wie sie und Fitzi von Laden zu Laden gezogen sind, um das Kostüm zu kaufen, das die Tochter für die Schule braucht. Ihre Klasse führt im Theater am Gleis in Winterthur die Rocky Horror Show in einer gekürzten und entschärften Fassung auf. Fitzi spielt das Hausmädchen Columbia und hat einen Auftritt in Strapsen. Nur hätten weder Meret noch ihre Tochter gewusst, wo man so etwas heute noch erhält. Sie redet und redet. Sie muss Zeit gewinnen. Sie will nicht, dass es zu einer Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn kommt, bevor sie mit Noldi gesprochen hat. Sie weiß, wenn sie nicht konsequent eine gemeinsame Linie verfolgen, spielt der Kleine sie gegeneinander aus. Pauli ist ein Schlaumeier. Das haben sie oft genug erlebt, und nicht immer ist es ihnen gelungen, sich das Lachen zu verbeißen.
»Strapse«, sagt sie, »so etwas braucht ein normaler Mensch doch nicht.«
»Bist du dir da ganz sicher?«, fragt Noldi, der gerne sieht, wenn seine Frau verlegen wird.
Sie schaut ihn an, erleichtert, die Stimmung am Tisch hellt sich auf.
»Wenn du meinst«, sagt sie, »kann ich dir welche zu Weihnachten schenken. Fitzi und ich wissen inzwischen, wo man sie bekommt.«
Pauli muss lachen. Er weiß nicht genau, was Strapse sind.
»Du hast leicht lachen«, sagt Noldi.
Da ist es mit Paulis Heiterkeit gleich wieder vorbei. Immerhin überlegt er, ob er nicht doch besser alles beichtet. Sollte die Figur wirklich der toten Frau gehören, müsste der Vater ihm sogar dankbar
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