Nachsuche
vorgestellt hat, eine richtige Kletterpartie. Völlig atemlos und verschwitzt kommt er oben an. In der Richtung hat er sich nicht geirrt. Er kann den goldenen Zierrat auf dem Dach des Klosters sehen. Vielleicht, denkt er plötzlich mit neuer Hoffnung, ist Bayj bei den Mönchen. Vielleicht haben sie ihn eingesperrt, weil er einen Opferkuchen gestohlen hat. Er weiß von seinen tibetischen Schulkollegen, dass die Mönche Sachen zum Essen für die hungrigen Geister vor die Türe stellen. Der Gedanke, Bayj hier zu finden und zu befreien, muntert Pauli auf.
Das Kloster wirkt verlassen. Nur in einem Fenster brennt Licht. Unschlüssig betrachtet der Junge das Gebäude. Es ist drei Stockwerke hoch und hat ein Penthaus mit goldenen Figuren auf dem Dach. Rechts und links von einem Rad mit acht Speichen liegen zwei Rehe. Die Mauern sind weiß, das oberste Stockwerk ist mit braunem Holz verkleidet. Zum oberen Eingang führt eine kleine, leicht geschwungene Brücke. Genau darunter entdeckt er noch eine Tür. Das verwirrt ihn. Er weiß nicht, wo läuten. Außerdem ist er nicht sicher, ob er den Buddha wirklich abgeben will. Dann hätte er kein Beweisstück mehr.
Während er unschlüssig vor dem Kloster von einem Fuß auf den anderen tritt, erscheint am nahen Waldrand ein Mönch. Er ist in ein rotes Tuch gehüllt, seine nackten Füße stecken trotz der kalten Jahreszeit in Sandalen. Er hat ein kleines, faltiges Gesicht und ist nicht viel größer als Pauli. Der Junge trifft eine blitzschnelle Entscheidung. Er wird diesem Mönch das Amulett geben, wenn nur Bayj dafür zurückkommt.
Tashi deleg, sagt er höflich zu dem kleinen Mann, wie er es von den Tibeterkindern im Dorf gelernt hat.
Der Mönch lächelt und sein ganzes Gesicht beginnt zu strahlen. Da streckt ihm Pauli die kleine Buddhafigur entgegen.
»Ich bin der Pauli Oberholzer. Den Buddha hat Bayj im Wald gefunden. Bayj ist mein Hund. Und jetzt ist er verloren gegangen. Vielleicht wissen Sie, wo er ist?«, sprudelt er heraus.
Es tut ihm gut, von Bayj als seinem Hund zu sprechen, fast so gut, als wäre er schon wieder da.
Der Mönch strahlt ihn weiter an.
»Jaja«, sagt er mit hoher Kinderstimme. »Jaja.«
Pauli ist erleichtert. Jetzt hat er es getan, Bayj wird wiederkommen. Er hält dem Mönch das Figürchen hin.
»Da«, sagt er, »bitte.«
»Jaja«, sagt der andere und lacht, aber er gönnt dem Buddha keinen Blick.
Pauli wundert sich. Der Mönch mustert ihn einen Augenblick, sagt wieder jaja, macht dann mit dem Kopf eine leichte Bewegung nach oben, und wendet sich zum Gehen. Er hält aber sofort wieder an, um sich zu vergewissern, ob der Junge seine Aufforderung verstanden hat.
Pauli weiß nicht recht, was er tun soll. Aber das Gesicht des Mönchs ist so freundlich und arglos, dass er beschließt, mitzukommen. Vielleicht, denkt er, führt er ihn ja zu Bayj.
Sie gehen die Einfahrt entlang und durch die untere Tür ins Haus. Dort riecht es nach Essen, nach Weihrauch.
Komischer Geruch, denkt Pauli, aber er gefällt ihm.
Der Mönch führt ihn durch einen unbeleuchteten Gang. Auf der rechten Seite sieht Pauli Türen, vor denen bunte tibetische Tücher hängen, auf der anderen einen Raum mit Waschbecken und Spiegeln darüber. Hier stinkt es ein bisschen. Sie kommen auf die Vorderseite des Hauses, wo es hell ist. Schmale hohe Fenster geben den Blick ins Tal frei. Dann biegen sie in einen weiteren Gang, der in die Gegenrichtung führt, klettern eine enge hölzerne Treppe hinauf. Oben gelangen sie wieder an eine Tür, der Mönch öffnet und schiebt Pauli vor sich in den Raum.
Der Junge steht da, verwirrt und halb blind vom Gegenlicht. Er kann nur einen großen blonden Haarschopf erkennen, der auf ihn zukommt.
Der Mönch lacht, nickt, sagt wieder, jaja. Diesmal fügt er noch, an den Jungen gewandt, hinzu: »Alles gut, alles gut.« Damit entschwindet er.
Pauli schaut die Frau, die vor ihm steht, misstrauisch an.
»Ich heiße Erika«, sagt sie freundlich, streckt ihm die Hand entgegen. »Und wer bist du? «
»Pauli Oberholzer«, sagt der Junge. Dann weiß er nicht weiter. Er wollte dem netten Mönch den Buddha geben, damit Bayj wiederkommt. Aber er ist nicht sicher, ob das mit der Frau auch funktioniert. Was hätte er davon, wenn er ihr die Figur gibt?
»Warum hat der Mönch nicht mit mir geredet?«, platzt er schließlich heraus.
Erika lacht.
»Ganz einfach«, sagt sie, »weil er dich nicht versteht.«
»Aber er hat ›ja‹ zu mir gesagt.«
Erika lacht noch
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