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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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einfach. Im schlimmsten Fall fliegt uns unsere Bank um die Ohren.«
    Die Mädels lachen.
    Professor K. bemerkt es und fixiert mich schweigend, einige endlose Sekunden lang. Dann fährt er fort, ohne mich zu tadeln.
    In Dreiergruppen führen die Schüler nun ihr eigenes Experiment durch, mit mehr oder weniger Erfolg. Agatha will offenbar allein arbeiten, und niemand hindert sie daran. Man hat den Eindruck, dass Professor K. den Charakter und die Probleme der Schüler, die er vor sich hat, genau kennt, aber er greift in keiner Weise ein, sondern gibt jedem Einzelnen die Möglichkeit zur freien Entfaltung und zur eigenen Lösungsfindung.
    Entweder ist er irre oder der ganze Rest der Welt.
    Unsere Substanz färbt sich purpurrot, doch dann hat keine von uns eine Ahnung, wie wir die Berechnung durchführen sollen. Also beschließe ich, die Formeln abzuschreiben, die Professor K. an die Tafel geschrieben hat. Noch bevor ich fertig bin, klingelt es zur Pause. Nur er und ich bleiben im Chemiesaal zurück. Als ich das merke, überkommt mich eine plötzliche Verlegenheit. Ich schreibe schnell zu Ende und stehe auf, um zu gehen.
    »Auf Wiedersehen«, sage ich.
    »Alma«, hält mich Professor K. zurück.
    Ich bleibe an der Tür stehen und mache einen Schritt rückwärts.
    »Es ist nicht gut, alles auf die leichte Schulter zu nehmen. Wenn man dann mal in eine wirklich schwierige Situation gerät, weiß man nicht, wie man mit ihr fertig werden soll.«
    Warum sagt er mir das?
    »Es tut mir leid, dass ich vorhin herumgealbert habe.«
    »Das sind nur kleine Dummheiten. Aber denk an meine Worte für die Zukunft: Geh den Dingen stets auf den Grund und urteile mit Verstand.«
    »Ist gut, ich werde es mir merken.«
    »Du kannst jetzt gehen.«
    »Auf Wiedersehen.«
    »Tschüss.«
    Beim Verlassen des Chemieraums fühle ich mich, als hätte ich gerade eine Prüfung hinter mir. Warum hat der Professor so mit mir gesprochen? Hält er mich für hohl und oberflächlich? Dabei war ich überzeugt, dass er mich mag.
    Das kurze Gespräch lässt eine komische Beunruhigung in mir zurück, wie bei jemandem, der die Spitze eines Eisbergs sieht, aber nicht weiß, was darunter ist.

[home]
    Kapitel 9
    D ie Pause nach der Chemiestunde verbringe ich mit Nachdenken allein auf dem Hof, trotz Kälte. Ich verstehe diesen Mann nicht, wie ich überhaupt mein Leben zurzeit nicht verstehe. Wieso habe ich diese Geschichte geschrieben? Ist es nur ein makabrer Zufall, dass sie Wirklichkeit wurde? Oder steckt noch etwas anderes dahinter? Bisher habe ich keine einzige Antwort. Nur Fragen.
    Als ich wieder hinaufkomme, treffe ich auf dem Flur im obersten Stock auf das übliche Gewirr von Schülern, die wie fleißige Bienen in ihre jeweiligen Klassenzimmer schwärmen. Auch ich gehe in meines. Naomi, Agatha und Seline stehen in einer Ecke hinten am Fenster und reden miteinander. Als ich zu ihnen stoße, ist die Unterhaltung schon recht lebhaft.
    »Du hast dich nicht zufällig in Professor K. verknallt?«, fragt Naomi Agatha gerade spöttisch.
    Ohne eine Miene zu verziehen, sieht Agatha sie an, mit dem Blick einer Sphinx. Das Problem mit ihr ist, dass man nie weiß, was ihr durch den Kopf geht. Und leider denke ich manchmal, dass es Dinge sind, die mir nicht gefallen würden.
    »Sei nicht blöd. Ich interessiere mich lediglich für seinen Unterricht.«
    »Ich habe noch nie gesehen, dass du einer Unterrichtsstunde so aufmerksam folgst. Du warst wie hypnotisiert.«
    Seline blickt von einer zur anderen, als würde sie einer Partie Tennis folgen.
    »Mein Vater war Chemiker.«
    »Interessant«, sage ich.
    Es ist das erste Mal, dass Agatha von ihrem Vater spricht. Dass er Chemiker war und zusammen mit ihrer Mutter bei einem Flugzeugunglück umgekommen ist, wussten wir schon. Der Direktor hatte es uns vor Agathas Ankunft in der Schule mitgeteilt. Das war ein paar Monate nach meinem Unfall. Alles, was Agatha selbst uns seitdem erzählt hat, ist, dass sie keine Geschwister hat. Sie hat bisher nie über ihre Familie gesprochen, auch nicht über ihre Tante, mit der sie auf der anderen Flussseite wohnt, im alten Teil der Stadt. Jedenfalls scheint sie jetzt sauer zu sein. Sie sieht uns nacheinander wortlos an und geht zu ihrem Platz. Wir sind daran gewöhnt, Agatha ist nun mal so.
    »Glaubt ihr wirklich, dass sie sich in Professor K. verliebt hat?«, frage ich die anderen beiden.
    Naomi wirft Seline einen auffordernden Blick zu. Seline reagiert: »Mal abgesehen von ihrem fast

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