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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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Lippen.
    Als würde sie beten.
    Ich habe das noch nie getan und tue es auch nicht, als ich nach dem Essen mit zugeschnürter Kehle in die Einsamkeit meines Zimmers zurückstürze. Die Lichter der Stadt dringen durchs Fenster ein und zerteilen den Raum und alles darin, mich eingeschlossen.
    Morgen ist Donnerstag.

[home]
    Kapitel 8
    D er Tag beginnt zum Glück so angenehm es nur geht: In den ersten beiden Stunden haben wir Chemie.
    Das Chemielabor ist zweifellos der beste Unterrichtsraum der ganzen Schule, nicht nur wegen seiner Helligkeit und Abgeschiedenheit, sondern auch, weil dort Demokratie herrscht – jeder kann selbst wählen, wo und neben wem er sitzen will. Schon vom ersten Tag an begegnet uns Professor K. mit seiner ungewöhnlichen Theorie, derzufolge man Schüler viel effektiver beurteilen kann, wenn man ihnen die Entscheidungsfreiheit lässt, statt sie rigiden Regeln zu unterwerfen. Das Ergebnis ist, dass alle gern an seinem Unterricht teilnehmen und ich mich wenigstens für zwei Stunden nicht wie im Gefängnis fühle.
    Ich setze mich in die dritte Reihe der breiten, langen Bänke aus hellem Holz.
    Professor K. sitzt hinter dem mit Geräten, Bechergläsern und Destillierkolben vollgestellten Lehrertisch. Aufmerksam konsultiert er ein dickes Buch. Er wirkt sehr konzentriert und benimmt sich, als wären wir gar nicht da. Neben mir lassen sich Naomi und Seline nieder.
    »Warum kommt sie nicht zu uns?«, frage ich und deute auf Agatha, die zwei Reihen weiter vorn sitzt.
    »Sie meint, dass sie dort vorn besser folgen kann«, antwortet Seline.
    »Seit wann ist sie daran interessiert, dem Unterricht zu folgen?« Aber gut, letztendlich ist das ihre Sache. Ich beharre nicht weiter darauf, zumal ich weiß, dass Agatha nie etwas ohne einen bestimmten Grund tut.
    »Guten Morgen«, lässt sich Professor K. irgendwann vernehmen. Er steht auf und macht ein paar Schritte auf die Klasse zu. Seine ruhige, tiefe Stimme scheint von weither zu kommen. Der Blick, mit dem er uns durch seine dunkle Brille hindurch ansieht, ist so unergründlich wie das seltsame, kaum wahrnehmbare Lächeln auf seinen Lippen.
    »Heute werden wir ein Experiment durchführen, das uns zeigen soll, was Basen und Säuren sind. Und zwar anhand von Essig.«
    Ich sehe Agathas Kopf vor mir, unbeweglich wie der einer Statue. Sie interessiert sich tatsächlich für den Chemieunterricht. Inzwischen fährt der Lehrer mit seinen Erklärungen fort, die wie immer klar und detailliert sind.
    »Das Experiment heißt ›Titration von Essig‹ und dient dazu, die genaue Menge von Essigsäure zu bestimmen, die in unserer Probe enthalten ist. Auf euren Tischen habe ich jeweils ein Gerät bereitgestellt, das wir für unser Experiment brauchen. Es ist eine sogenannte Bürette, und man kann damit Flüssigkeitsvolumen präzise messen.«
    Jetzt erst sehe ich mir das Material auf unseren Tischen genauer an: diese Bürette, bei der es sich um eine einfache Glasröhre mit einer Messskala handelt, drei Paar Handschuhe, drei Schutzbrillen, ein Becherglas, eine Pipette und ein Reagenzglas mit Stricheinteilung, ein Trichter, ein Glasstäbchen, ein Halter mit einem Stahluntersatz sowie einige Lösungen mit den Aufschriften NaOH, Essig, Phenolphthalein und destilliertes Wasser.
    »Wir können anfangen. Agatha, nimm bitte die Schürzen und verteile sie an deine Klassenkameraden.«
    Seline, Naomi und ich sehen uns sprachlos an. Agatha erhebt sich und führt ihren Auftrag ohne Murren aus. Ausgerüstet mit Schürze, Handschuhen und Brille, kann es losgehen.
    »Die Vorgehensweise ist sehr einfach: In die Essigprobe, die titriert werden soll, geben wir einige Tropfen der Indikatorlösung Phenolphthalein und träufeln anschließend in die Flüssigkeit eine Natriumhydroxid-Lösung in einer Stoffmengenkonzentration von 0 , 1 mol pro Liter. Wenn der pH-Wert der Lösung ausgeglichen ist, also alle Wasserstoffionen H + in der Essigprobe durch ebenso viele OH - Ionen der Natriumhydroxidlösung neutralisiert wurden, wird das farblose Phenolphthalein plötzlich purpurrot. An dieser Stelle müssen wir notieren, wie viel Natriumhydroxidlösung zur Neutralisierung hinzugegeben wurde. Wenn wir das Volumen und die Konzentration des hinzugefügten Hydroxids kennen, können wir mit einer einfachen Berechnung auch die Essigkonzentration ermitteln.«
    »Ganz klar, was?«, bemerkt Naomi sarkastisch.
    »Ich hab überhaupt nix kapiert«, schließt sich Seline an.
    »Ich würde sagen, wir versuchen’s

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