Nacht
verschwinde. Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.«
Das meine ich ernst. Agatha verbirgt etwas in diesem Haus, und ich werde herausfinden, was es ist.
Ich gehe zum Tor und spüre dabei Agathas zornglühende Blicke im Rücken. Sie murmelt noch etwas, dann höre ich wieder das Quietschen der schweren Tür, die sich schließt wie ein Sargdeckel.
Ich nehme mein Fahrrad, springe auf den Sattel und fahre los, als würde ich wirklich verschwinden. Aber ich denke gar nicht daran. Am Ende der Straße angekommen, biege ich ab, um außer Sichtweite zu sein. Ich steige vom Rad und suche nach einer Parallelstraße, auf der ich schleunigst wieder dahin zurückfahre, wo ich hergekommen bin. Ich kurve eine Weile durch die Gassen der Altstadt, bis ich die Straße finde, die aus der anderen Richtung zu Agathas Haus führt. Sobald ich das Muschelhaus sehen kann, verlasse ich die Fahrbahn und suche mir ein Versteck auf dem Gehweg gegenüber. Ich fühle, wie mein Herz schneller schlägt. Das Fahrrad lasse ich hinter einer riesigen Mülltonne stehen, deren stinkender Inhalt überquillt.
Dort postiere ich mich wie eine Bettlerin und warte.
Ich betrachte die hohen Fenster und stelle mir vor, wie Agatha immer noch unbeweglich dahinter steht und die Straße nach weiteren Feinden absucht, die sie in die Flucht schlagen muss. Ich zerbreche mir nicht lange den Kopf darüber, warum sie mich so behandelt hat. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt. Ich schlinge meine Arme um die Knie und stecke das Kinn zwischen die Beine. Meine Haare fallen mir übers Gesicht und bilden einen Schild gegen die Außenwelt. Der Geruch des Abfalls ist süßlich und Übelkeit erregend. Eine zähe, schwärzliche Flüssigkeit rinnt über den Bordstein und bildet eine faulige Pfütze, aus der hin und wieder abscheuliche Wesen auftauchen. Sind es Würmer, oder bilde ich mir das nur ein?
Ein Geräusch.
Ich sehe auf und kauere mich zugleich noch tiefer hinter die Mülltonnen. Das Geräusch kommt von der Tür des Muschelhauses. Dieses Kreischen erneut zu hören, verursacht mir eine Gänsehaut. Die Tür geht gerade weit genug auf, dass eine schlanke, wendige Gestalt herausschlüpfen kann. Wie eine vorsichtige Katze überzeugt sie sich zuerst, dass die Bahn frei ist, und eilt dann flink die Treppe hinunter.
Es ist Agatha.
Die Hände in den Taschen ihres grünen Armeeparkas, geht sie auf dem kurzen Pfad aus Steinen und Muscheln zur Gartenpforte. Sie lehnt sich hinüber, um sich nochmals zu vergewissern, dass niemand auf der Straße ist. In meinem Versteck hinter der Tonne läuft es mir kalt den Rücken herunter.
Als sie aus dem Tor getreten ist, wendet sich Agatha nach links, in die Richtung, aus der ich gekommen bin, und geht mit schnellen Schritten auf die Stadt zu, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Ich warte, bis nichts mehr von ihr zu sehen ist, ehe ich aus meinem Versteck herauskomme. Keine Ahnung, wie lange sie wegbleiben wird, aber ich hoffe, lange genug, damit ich herausfinden kann, was sie ausheckt. Ihr Verhalten ist mittlerweile allzu mysteriös.
Ich lasse mein Rad hinter der Tonne stehen und nähere mich dem Haus, zwinge mich, nicht zu den dunklen Fenstern und den Vorhängen hinaufzusehen, die wie dicht wogende Wasserpflanzen obskure Geheimnisse verbergen. Erneut stoße ich das kaputte Gittertor auf und mache einen schnellen Rundgang ums Haus, um mir einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Das Unkrautgestrüpp im Garten reicht mir bis zu den Knien. Es sticht und kratzt, wie Fingernägel. Das Haus steht still und starr, ruht aber auf etwas Pulsierendem, etwas Bedrohlichem, das bei jedem Schritt zu spüren ist, bei jedem abgebrochenen Zweig, bei jedem Strauch, der mir die Knöchel aufschürft. Wenn ich hineinwill, dann nicht durch die Vordertür. Viel zu riskant. Ich suche nach einem nicht vollständig geschlossenen Fenster im Erdgeschoss. Auf der linken Hausseite komme ich an einer Veranda vorbei, doch deren Bleiglastür lässt sich nicht öffnen. Drinnen lassen sich Blumenkübel und -töpfe erkennen, aus denen grünliche Büschel sprießen. Die Überreste dessen, was einmal ein schöner, üppig bepflanzter Wintergarten gewesen sein muss.
Von einem Turm aufeinandergestapelter Töpfe herunter beobachtet mich eine dunkelgraue Katze mit gelben Augen.
Ich wusste nicht, dass Agatha eine Katze hat.
An der Hauswand steht ihr altes Rennrad, ein Skelett aus Rost und knackenden Ritzeln.
Ich mache mit meiner Suche nach einem Schlupfloch weiter,
Weitere Kostenlose Bücher