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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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doch auch auf der linken Seite, wo die Fenster von einer braunen, öligen Schicht zugekleistert scheinen, sind alle Zugänge verschlossen.
    Je weiter ich gehe, desto überzeugter bin ich, dass hier etwas nicht stimmt. Es ist nur ein Gefühl, aber meine Gefühle haben mich bisher noch nie getäuscht. Auf der Rückseite sieht es vielversprechender aus. Versunken im hohen Gras steht ein altes Holzgerippe – ein Pferdeschlitten oder die Überbleibsel einer ausgemusterten Kutsche –, und direkt daneben, fast zu ebener Erde, sind drei kleine, rechteckige Fenster in die Hauswand eingelassen.
    »Dort muss der Keller sein«, murmele ich vor mich hin.
    Vorsichtig drücke ich mit der Hand gegen das erste Fenster: verschlossen. Nicht anders beim zweiten. Ich hole tief Luft und probiere es beim dritten: Etwas bewegt sich. Ich spüre einen Adrenalinschub von meinen Fingern bis in die Haarspitzen hinaufschießen. Mit beiden Händen übe ich einen leichten Druck auf die staubige Scheibe aus, die langsam nachgibt und schließlich aufgeht. Ich stecke den Kopf hinein und sehe mich um. Durch die kleinen Fenster fällt nur wenig Licht, doch es genügt, um festzustellen, dass niemand hier ist. Es ist tatsächlich ein Keller.
    Obwohl die Öffnung ziemlich eng ist, habe ich keine Probleme, hindurchzuschlüpfen. Ich setze einen Fuß auf eine Kiste und lasse mich hineingleiten. Drinnen empfängt mich ein starker Geruch nach Schimmel, vermischt mit etwas Chemischem, das ich nicht genau bestimmen kann. Behälter mit Farben und Pflanzenschutzmitteln lagern halboffen in einigen Holzkisten. Ich bedecke Nase und Mund mit meinem Schal und gehe weiter. Der Chemikaliengeruch ist so beißend, dass es mir den Atem nimmt. Ich gehe auf eine Treppe zu, deren Stufen mit Schachteln, Tüten und allerlei Gerümpel vollgestellt sind, aufeinandergehäuft und seit wer weiß wie langer Zeit vergessen. Mitten hindurch bahne ich mir einen Weg, einen Fuß dahin setzend, den anderen dorthin, wo immer gerade ein wenig Platz ist. Oben angekommen, taste ich nach dem Türgriff. Es ist ein runder, eiskalter Knauf. Ich packe ihn und versuche, ihn zu drehen.
    Dann höre ich ein schwaches Klicken. Und bin im Haus.
     
    Auch hier hängt ein seltsamer Geruch in der Luft, eine beißende Kombination aus Arzneimitteln und etwas Essigartigem, aber viel intensiver.
    An den hohen Decken zeigen sich hier und da gelbe Wasserflecken. Ich befinde mich in einem langen und schmalen Flur, der erdrückt wird von einer Überzahl an Bildern und Möbelstücken voller altem, verstaubtem Krimskrams. Es ist, als wäre das Leben hier drin an einem bestimmten Tag und einer bestimmten Stunde zum Stillstand gekommen, und niemand hätte sich die Mühe gemacht, die Zeiger der Uhr wieder zum Laufen zu bringen. Die Luft ist stickig und mit einer so absoluten Stille angefüllt, dass ich Angst habe, sie mit meinen Atemzügen zu stören. Ich gleite über die dicken, grünen Läufer, die den Marmorboden bedecken und mich zu einer imposanten, steilen Steintreppe führen. Auf den ersten Blick scheint das Haus vollkommen leer. Doch Agathas Tante muss sich hier irgendwo aufhalten, vielleicht im oberen Stockwerk.
    Ich weiß nicht genau, was ich hier suche. Eine Antwort.
    Einen Grund.
    Hinter der Treppe geht der Flur weiter, verengt durch ein eindrucksvolles Bücherregal, das weit über sein Fassungsvermögen hinaus mit Bänden vollgestopft ist. Alte Bücher mit Goldlettern und roten Maroquin-Einbänden. Schulbücher. Auf dem Boden gestapelte Universitätslehrbücher. Atlanten mit herauslugenden Landkarten, auf denen utopische Reiserouten. Ich nehme an, sie haben Agathas Vater gehört.
    Zwei geschlossene Türen machen dieses kurze Stück Flur dunkel und bedrückend. Ich folge der Biegung des Gangs und sehe endlich Licht an seinem Ende. Es kommt aus einem Raum mit offen stehender Tür. Zögernd gehe ich darauf zu. Es ist die Küche. Verlassen. Hier gibt es weder Kochutensilien noch Teller noch Lebensmittel. Außer einem Laib Brot in einem offenen Kasten auf dem Tisch und einer Schachtel mit Katzenkroketten weist nichts darauf hin, dass sie überhaupt benutzt wird. Auf einer Arbeitsfläche aus dunklem Marmor unter dem Fenster bemerke ich jedoch ein paar große durchsichtige Gläser, die alle luftdicht verschlossen und zur Hälfte mit unidentifizierbaren Flüssigkeiten und Pulvern gefüllt sind. Ich gehe näher heran, um nachzusehen, um was es sich handelt. Klebeetiketten verzeichnen seltsame chemische Formeln: K

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