Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
Vom Netzwerk:
fest.
    Ich stelle mich neben einen Mann, der ebenfalls auf den Bus wartet, und frage ihn nach der Zeit. Acht, antwortet er. Dann bemerke ich, dass er eine Zeitung unterm Arm hat. Nein, denke ich wieder, kopfschüttelnd, es ist noch zu früh, die Nachricht kann noch nicht in der Zeitung stehen. Die Zeitungen werden nachts gedruckt, von gigantischen Rotationsmaschinen, die im Dunkeln arbeiten. Sie werden nachts, auf stillen Straßen durch die Stadt gefahren und liegen im Morgengrauen druckfrisch an den Kiosken.
    Um sechs.
    Wenn es heute passiert ist, hat man sie vielleicht gerade erst gefunden.
    Oder es passiert morgen.
    Wer ist Halle?
    Alles, was ich über sie weiß, steht in meiner Geschichte: Sie wohnt einen Block vom Nordpark entfernt.
    Ich überlege einen Augenblick. Natürlich. Halle wohnt in diesem luxuriösen Viertel, in einem der superhohen Wolkenkratzer, einem der Glaspaläste, die an den Park grenzen.
    Es gibt nur eine Möglichkeit, herauszufinden, ob mein Alptraum wahr ist: zum Nordpark zu gehen. Aber nicht gleich, denn es wäre zu spät, falls der Mord schon passiert ist, und zu früh, falls morgen der Tag ist.
    Ich gehe zur Schule. Was soll ich sonst tun.

[home]
    Kapitel 36
    N aomi ist nicht in der Schule. Während der Pause rufe ich sie zu Hause an. Ihre Mutter meldet sich: »Naomi hat die Grippe«, sagt sie. »Sie schläft noch.« Ich weiß, dass das nicht stimmt. Ich weiß, dass die Therapie bei Doktor Mahl belastend und anstrengend ist. Nach der ersten Sitzung bin ich nicht mehr mit ihr hingegangen. Der Doktor meint, dass Naomi es jetzt alleine schaffen kann, dass sie ohne mich zurechtkommen muss, aber sie hält mich über ihre Fortschritte auf dem Laufenden. Leider geht es sehr langsam voran, während alles andere schnell aufeinander folgt – die Morde zum Beispiel.
    Als ich das Telefon auflege, glaube ich zu ersticken. Ich habe den Eindruck, dass die Sache mit Naomi uns bald um die Ohren fliegen wird. Ich kann mich nicht auch noch darum kümmern. Nicht allein. Ich brauche Hilfe. Auf der Suche nach Morgan gehe ich durch die Flure. Erdgeschoss. Erster Stock. Chemiesaal. Dort treffe ich endlich auf jemanden, mit dem ich sprechen kann.
    »Professor K.?«
    Er dreht sich um, richtet seine dunklen Gläser auf mich. Er trägt eine große Schürze über einem weißen Kittel und Handschuhe und Mundschutz. Offensichtlich arbeitet er mit ätzenden Substanzen.
    »Guten Tag, Alma. Kommen Sie bitte nicht näher«, sagt er mit von der Maske gedämpfter Stimme.
    Ich bleibe an der Tür stehen.
    »Was kann ich für Sie tun?«
    »Haben Sie zufällig Morgan gesehen? Wissen Sie, wo er ist?«
    Professor K. macht ein paar Schritte auf mich zu und schiebt die Maske hoch. Trotz seiner langsamen Bewegungen ist ihm eine gewisse Verwunderung anzumerken. »Ich denke, er ist im Unterricht.«
    »Es ist Pause, Professor.«
    »Dann wird er wohl irgendwo in den Fluren herumlaufen oder draußen sein, um frische Luft zu schnappen.«
    Er spricht von Morgan, als würde er ihn wirklich gut kennen.
    »Gut, dann versuche ich es im Schulhof. Danke.«
    »Auf Wiedersehen, Alma.«
    Ich mache mich auf den Weg zum Hofausgang. Die Gesichter meiner Mitschüler ziehen an mir vorbei wie Abziehbilder. Mist. Immer, wenn ich nicht damit gerechnet habe, war Morgan irgendwo hinter mir und fixierte mich. Und jetzt …
    Die Pause ist fast zu Ende, als ich den Hof erreiche und ihn entdecke. Er kehrt mir den Rücken zu, ans Tor gelehnt, und spricht mit einem Mädchen, das ich noch nie gesehen habe. Sie ist nicht von unserer Schule. Groß und unverkennbar hübsch, mit dunklen, lockigen Haaren. Es versetzt mir einen leichten Stich der Eifersucht. Von meiner Position aus kann ich nicht hören, was sie sagen.
    Das Läuten der Glocke ruft uns wieder zur Pflicht. Das Mädchen geht, und Morgan kommt auf mich zu. Ich stecke die Hände in die Taschen und mache zwei Schritte in die andere Richtung.
    »Hey, wo willst du hin? Läufst du vor mir weg?«
    Wenn er wüsste, vor was ich allem weglaufen möchte.
    »Sollte ich das?«
    »Ich denke, nicht. Hast du mich gesucht?«
    »Ich schnappe nur ein bisschen frische Luft.«
    »Harter Tag?«
    »Genau.«
    Ich will nicht fragen, wer das unbekannte Mädchen war. Auf keinen Fall.
    »Ich gehe oft in den Hof, wenn ich meine Ruhe haben will. Kann ich dir etwas zeigen?«
    Er kommt mir ungewöhnlich gutgelaunt vor. Das Verdienst seiner Freundin?
    Ich schüttele den Kopf. »Nicht der richtige Moment.«
    »Ist was passiert? Mit

Weitere Kostenlose Bücher