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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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Leben zu zerstören.«
    Sie lässt den Kopf sinken. »Ich weiß.«
    »Du weißt es? Und tust nichts dagegen?«
    Sie kaut auf ihrer Unterlippe herum und guckt weiterhin an mir vorbei.
    »Du bist noch schlimmer als sie.«
    »Du weißt nicht, wie das ist! Tito war der Einzige, der mir geholfen hat, als ich von zu Hause ausgezogen bin und keinen Cent hatte.«
    »Klar. Er hat sich dein Schweigen erkauft.«
    »Mag sein, aber ich hatte keine Wahl.«
    »Jetzt aber schon. Du hast deinen Vater, und du kannst mir helfen, Tito der Polizei zu übergeben, ehe er wieder zuschlägt. Hast du nie daran gedacht, dass Tito … oder seine Freunde … in diese Morde der letzten Zeit verwickelt sein könnten?«
    Sie sieht mich verblüfft an. »Glaubst du wirklich, dass Tito damit was zu tun hat?«
    »Warum nicht? Der Werber ist gekreuzigt worden. Und sie haben ein Kruzifix benutzt, um meiner Freundin weh zu tun.«
    »Das beweist gar nichts.«
    »Vielleicht, aber ich möchte es nicht erst herausfinden, wenn es zu spät ist.«
    Tea scheint nachzudenken, als hätte sie sich damit abgefunden, dass meine Argumente stichhaltiger sind als ihre.
    »Na schön. Ich werde dir helfen. Aber du darfst meinen Namen nie erwähnen, und du darfst kein Wort zu meinem Vater sagen. Hast du verstanden? Sonst bin ich tot.«
    »Ich verspreche es dir.«
    »Wir treffen uns in genau einer Woche wieder hier.« Tea macht Anstalten aufzustehen, dann durchbohrt sie mich mit einem eisigen Blick. »Leg mich ja nicht rein.«
    »Du mich auch nicht.«
    Wir verabschieden uns mit einem knappen Nicken.
    Ich betrachte meine inzwischen kalten Kroketten.
    Unauffällig wickele ich sie in ein Papiertaschentuch und stecke sie in den Rucksack.
    Die Tiere im Park werden sie bestimmt köstlich finden.

[home]
    Kapitel 38
    S chon seltsam, unsere Zeitwahrnehmung.
    Manchmal kommt die Zeit uns endlos vor, dann wieder haben wir nicht genug davon. Besonders aber rast sie, wenn man möchte, dass ein bestimmter Moment nie eintritt.
    Ich verbringe den Tag vor dem Fernseher, aber es gibt keine Nachricht von einem weiteren Mord.
    Die Nacht kommt. Die Nacht vergeht.
    Als der Wecker klingelt, springe ich aus dem Bett. Ich spüre ein Stechen im Kopf, achte aber nicht weiter darauf. Ich ziehe die Sachen an, die ich gestern Abend auf dem Stuhl zurechtgelegt habe: eine schwarze Jeans, einen grauen Pullover und meine schwarze Jacke. In eine der Taschen stecke ich Linas Glücksglöckchen. In der anderen habe ich den Origami-Drachen und den Stahlfüller. Ich bin immer stolz darauf gewesen, nicht abergläubisch zu sein oder von dummen Manien beherrscht zu werden, aber im Moment scheine auch ich an die magische Kraft bestimmter Gegenstände zu glauben.
    Über unserer Wohnung liegt eine lastende Stille wie in einer schweren Winterdecke. Es ist fünf Uhr. Sogar für Jenna noch zu früh. Für einen Moment genieße ich diese Ruhe und denke, wie schön es sein könnte, wenn die Welt immer so wäre. Im Grunde verstehe ich Lina und ihren Entschluss, die Luft nicht mit noch mehr überflüssigem Gerede verschmutzen zu wollen.
    Während ich mir Mut zuspreche, denke ich an die letzten Tage, in denen ich kaum existiert habe: Ich habe niemanden von meiner Familie gesehen und mit niemandem gesprochen, ich bin in der Wohnung ein und aus gegangen wie eine Katze, ohne mich blicken zu lassen, ohne ein Geräusch zu machen. Genauso wie Evan mit seinem Leben hinter den Kulissen. Ich halte es nicht mehr aus, Angst zu haben. Und ich trage zu viele Geheimnisse und zu viele Ungewissheiten mit mir herum, zu viele für einen einzigen Verstand und ein einziges Herz.
    Verstohlen öffne ich die doppelt abgeschlossene Tür und gehe hinaus. Als ich aus dem Aufzug komme, bleibe ich wie versteinert stehen.
    Der Regen hat einem dichten Nebel Platz gemacht.
     
    Ich nehme den Bus Nummer  3 und setze mich in die letzte Reihe.
    Ich kann nicht mal mehr die Vorstellung ertragen, Leute im Rücken zu haben. Im Bus ist es kalt und riecht nach billigem Aftershave. Die wenigen Fahrgäste sind in dicke Winterjacken und in noch schlaftrunkene Gedanken versunken. Unter ihnen ist eine Frau, nicht mehr sehr jung, deren Hände mir auffallen, rissig und aufgesprungen von Kälte und zu viel Arbeit. Ein Stück weiter vorn liest ein Mann mit Brille aus Langeweile eine Gratiszeitung, die jemand auf dem Sitz neben ihm liegengelassen hat. Und da ist ein Mädchen mit mehreren Piercings im Gesicht. Sie dreht sich hin und wieder zu mir um und sieht mich an, als

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