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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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Verbrechens aufzusuchen.
    Ich muss ihn um mich herum spüren.

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    Kapitel 35
    A ls ich aus dem Haus gehe, ist es kurz nach sieben.
    Es regnet. Kein Nebel. Also habe ich vielleicht noch Zeit. Vielleicht ist es noch nicht passiert.
    Halle.
    Ich ziehe die Kapuze über den Kopf und gehe schnell durch die baumbestandene Straße zur Bushaltestelle.
    Die Geschäfte sind geschlossen, aber mein Stammcafé hat bereits geöffnet. Ich gehe hinein. Die Zeitungen treffen erst später ein, außerdem könnte die Nachricht von einem Mord noch gar nicht drinstehen. Ich schaue auf den großen Fernseher, der neben dem Tresen an der Wand hängt. Durch die vielen Leute, die sich morgens zum Frühstück in der Bar drängen, war er mir vorher nie aufgefallen. Doch jetzt, da es hier ganz ruhig ist, höre ich die ersten Nachrichten. Keine Rede von einem Mord. Möglicherweise ist wirklich nichts passiert. Ich bestelle eine einfache heiße Milch, und schon beim ersten Schluck breitet sich in meinem Körper eine angenehme Wärme aus.
    Der Mann an der Bar ist mittleren Alters und dunkelhäutig. Ich habe ihn noch nie gesehen. Der Junge, der gewöhnlich hier bedient, ist heute Morgen nicht da.
    »Wie spät ist es?«, frage ich ihn.
    »Zwanzig nach sieben«, antwortet er, ohne das Beladen der kleinen Geschirrspülmaschine hinter dem Tresen zu unterbrechen. Er kehrt mir den Rücken zu und sieht mich noch nicht mal an.
    Es ist noch zu früh für die Schule, daher beschließe ich, den Bus zu nehmen und während der Fahrt darüber nachzudenken, was zu tun ist.
    Aus dem Bus heraus lasse ich meinen Gedanken freien Lauf, sie durchstreifen die triefnasse Stadtlandschaft draußen vorm Fenster. Vielleicht habe ich tatsächlich so etwas wie … hellseherische Fähigkeiten. Vielleicht nehmen meine Träume die Wirklichkeit vorweg. Möglicherweise besitze ich eine Gabe und muss lernen, damit umzugehen. Es könnte eine Folge meines Autounfalls sein, den ich, wie Doktor Mahl sagt, beinahe unversehrt überstanden habe. Statt eines Schocks oder Traumas habe ich jetzt … das hier.
    Ich schreibe über Morde an Fremden, während sie geschehen. Oder kurz bevor sie geschehen.
    Oh nein.
    Ich mag mir nicht vorstellen, dass es so ist. Ich will es nicht glauben. Einmal habe ich in einem Buch von einem einarmigen Maler gelesen, der Dinge malte, die dann passiert sind. Ich erinnere mich noch nicht einmal an den Titel, denn die Geschichte kam mir so lächerlich vor, dass ich das Buch nie zu Ende gelesen habe.
    Ich steige in der Innenstadt aus und beschließe, bei der Schreibwarenhandlung vorbeizugehen. Sie wird noch geschlossen haben, aber ich will einen Blick hineinwerfen. Vielleicht ist mir eine wichtige Einzelheit entgangen. Ich ziehe mir erneut die Kapuze meines Parkas ins Gesicht und mache mich auf den Weg. Im Schaufenster des Ladens brennt kein Licht, und der Rollladen vor der Tür ist heruntergelassen.
    Wenn man es so sieht, könnte es ein x-beliebiges Geschäft sein.
    »Klar doch«, sage ich laut, »das sind alles bloß meine blöden Phantasien.« Was sollte dieser freundliche Mann mit den Morden zu tun haben? Dass ich das Heft und den Füller bei ihm gekauft habe, kann nur ein dummer Zufall sein. Es ist ein Schreibwarenladen wie jeder andere.
    Ich mache kehrt und gehe zur Haltestelle zurück. Plötzlich habe ich das seltsame Gefühl, von jemandem hinter dem dunklen Schaufenster beobachtet zu werden. Ich fahre abrupt herum und glaube, durch die Regenwand eine Bewegung wahrzunehmen.
    Ich renne zum Schaufenster zurück. Dicke, schnelle Tropfen prasseln wie Projektile auf die Pfützen herab.
    Ich gehe so nah wie möglich an die Scheibe heran und versuche, hineinzusehen. Der Raum liegt im Halbdunkeln. Alles ist still und verlassen.
    Und doch fühlt es sich so an, als würden sie bald wieder aufmachen.
    Alles nur Zufall, sage ich mir, als ich erneut auf die Haltestelle zusteuere.
    Beim Warten auf den Bus stelle ich mich unter dem schmalen Blechvordach eines Geschäfts unter. Ab und zu sehe ich zu dem Schreibwarenladen hinüber, nehme aber keine Bewegung mehr wahr. Ich versichere mir selbst, dass es nur Einbildung war. Wahrscheinlich habe ich Dinge phantasiert, die nie eintreten werden. Vielleicht wird es diesmal gar keinen Mord geben.
    Meine Erzählung bricht ab, als die Hand nach dem Hals der Frau greift. Vielleicht gelingt es ihr zu fliehen? Vielleicht wollte der Mörder diesmal gar nicht töten?
    Halle verlässt um sechs Uhr morgens das Haus, so viel steht

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