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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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hellt sich wieder auf.
    »Ist gut, ich rufe ihn an.«
    »Danke!«
    Ich umarme sie und bin selbst bestürzt darüber. Es dauert nur eine Sekunde. Ich hoffe, ich habe ihr wenigstens eine Freude damit gemacht.
    Die Hauptsache ist, dass ich mit dem Polizisten sprechen kann, der in den Fällen ermittelt. Wenn ich Glück habe, sagt Sarl mir etwas, das ich noch nicht weiß. Hilft mir zu verstehen, und zwar hoffentlich bald, ehe ich in den Abgrund stürze, der sich unter meinen Füßen auftut.

[home]
    Kapitel 40
    D as Kommissariat des neunten Reviers in der Altstadt ähnelt um acht Uhr morgens einem Marktplatz in einem Vorort. Einige der Anwesenden brüllen, um sich Gehör zu verschaffen, andere denken nicht daran zu reden. Ein Mann hält sich seinen blutenden Arm, während ein Beamter ihn zum Ausgang führt. Etwas weiter hinten streiten sich zwei Frauen in einer unverständlichen Sprache. Ein Kind weint herzzerreißend auf dem Arm seiner Mutter, die nur mit einem Drittel der Stoffmenge bekleidet ist, die nötig wäre, sie zu bedecken. In einer Ecke wartet eine Gruppe von Journalisten, die Notizbücher und Kameras gezückt wie Schwerter zum Duell.
    Ich gehe auf den Informationsschalter zu. Dahinter sitzt eine enorm dicke Frau in Uniform, die sie aussehen lässt wie einen Heißluftballon kurz vorm Aufsteigen.
    »Ja?«, fragt sie, ohne auch nur den Kopf zu heben und mich anzusehen.
    »Ich bin hier, um mit Kommissar Sarl zu sprechen.«
    »Solltest du um diese Zeit nicht in der Schule sein?«, erwidert die Beamtin und sieht mich jetzt mit einem leeren Blick aus ihren grauen Augen an. Ich habe das ungute Gefühl, dass hier jemand Probleme machen will. Auf dem Namensschild an ihrer Brust steht: Lilia, aber sie hat herzlich wenig von einer Lilie.
    Ich finde nicht, dass sie das etwas angeht, bemühe mich aber, freundlich zu sein, und wappne mich mit aller mir zur Verfügung stehenden Gelassenheit: »Ich habe einen Termin, ich heiße Alma.«
    Lilia mustert mich streng und ist überzeugt, dass ich lüge. Ich halte ihrem Blick stand und bin sicher, dass sie nachgeben wird. Tatsächlich greift sie gleich darauf zum Telefon.
    »Guten Morgen, Herr Kommissar, hier spricht Lilia. Hier ist eine … ein junges Mädchen, das behauptet, einen Termin bei Ihnen zu haben.«
    »Alma, ich heiße Alma!«
    »Sie sagt, sie heißt Alma … In Ordnung.«
    Schnaufend und sichtlich verärgert erhebt sie sich von dem Bürostuhl, in den sie ihre massige Form gezwängt hatte.
    »Komm mit«, sagt sie und biegt schaukelnd in einen Flur ein. Ich sehe sie vor mir herwatscheln, ein riesiger Fleischberg, der die Luft um sich herum aufwirbelt und anmaßend viel Raum einnimmt.
    Wir gehen durch eine Tür und gelangen in einen weiteren, sehr langen Flur, an dem zahlreiche Büros liegen. Bei den meisten steht die Tür offen; ich sehe im Vorbeigehen Beamte am Telefon gestikulieren, bei einer Tasse Kaffee miteinander reden oder zwischen hohen Papierstapeln sitzen, die sehr schön veranschaulichen, was es bedeutet, »bis zum Hals in Arbeit zu stecken«.
    Alles scheint von einer nervösen Unruhe durchdrungen zu sein, als wären sie unaufholbar mit etwas im Rückstand. Das Gefühl der Ohnmacht hier drin ist fast greifbar.
    Es ist genau das, was ich selbst empfinde.
     
    Etwa nach der Hälfte des Gangs bleibt die Polizistin stehen und klopft an eine Tür mit der Aufschrift: »Kommissar Sarl«.
    Sie haut gegen das Holz mit der Anmut eines Bisons.
    »Herein«, antwortet eine ruhige, tiefe, sehr männliche Stimme, die mich ein bisschen an die meines Vaters erinnert, an seine zwanzig Zigaretten am Tag und seine Abneigung gegen frische Luft.
    Lilia entscheidet sich plötzlich, höflich zu sein, oder vielleicht gehört es auch einfach zum Protokoll, jedenfalls hält sie mir die Tür auf, während ich eintrete.
    Dann verabschiedet sie sich, schließt sie wieder und geht.
    Sarl hat sich nicht sehr verändert. Ein paar Silberfäden haben sich in seinen vollen, dunklen, stets gut gekämmten Haarschopf und in seinen kurzen, gepflegten Bart gestohlen. Seinen Augen dagegen konnte die Zeit nichts anhaben: Sie sind immer noch schwarz und glänzend wie der Panzer eines Käfers.
    Sobald er mich sieht, steht er von seinem Platz hinter einem alten Holzschreibtisch auf und kommt mir lächelnd entgegen. Als er so vor mir steht, erscheint er mir kleiner und weniger kantig als früher. Er trägt ein hellblaues Hemd und einen dunkelgrauen Pullover, Jeans und schwarze Stiefel. Möchte wissen,

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