Nacht
warum es mit ihm und Jenna nichts geworden ist. Er ist so viel attraktiver als Gad.
»Hallo, Alma, es freut mich, dich wiederzusehen. Setz dich doch.«
»Guten Tag, Herr Kommissar.«
Wir setzen uns einander gegenüber, zwischen uns der Schreibtisch mit den ordentlich übereinandergeschichteten Stapeln aus Aktenmappen und Papieren. In einem Stahlaschenbecher wartet eine kalt gewordene Pfeife.
Ich sehe mich um: Die Wände sind mit Urkunden und gerahmten Zeitungsartikeln übersät. Ein alter Diwan aus dunkelgrünem, an mehreren Stellen stark abgenutztem Leder legt Zeugnis von den vielen Stunden, die der Kommissar auf Tätersuche hier verbracht hat. Zwischen Diwan und Tür streckt ein holzwurmzerfressener Garderobenständer seine kahlen Äste der einzigen Jacke entgegen, die ich je an Sarl gesehen habe: eine schwarze, hüftlange Lederjacke mit zwei Taschen vorn.
Vor dem großen Fenster im Rücken des Kommissars hängt ein dünner, bernsteingelber Vorhang, der das Zimmer in ein dezentes, goldenes Licht taucht. Es riecht nach altem Papier, Kaffee und Tabak.
»Ich muss gestehen, dass der Anruf deiner Mutter mich ein bisschen überrascht hat. Wir haben eine Weile nichts voneinander gehört. Aber sie hat mir von der Schülerzeitung und deinem Interesse für unsere Untersuchungen erzählt. Wie kann ich dir helfen?«
»Ich brauchte ein paar Informationen über einige Fälle, die Sie bearbeiten.«
»Welche denn?«
»Alek, der Werbefachmann, der Ingenieur Giulian und … Halle.«
Sein Blick ist halb ungläubig und halb ratlos. »Machst du Witze?«
»Nein, überhaupt nicht.«
»Wieso will ein junges Mädchen wie du über diese Mordfälle schreiben?«
»Wie Jenna Ihnen schon erklärt hat, ist es für die Schülerzeitung.«
Sarl betrachtet mich zweifelnd. Er ist ein intelligenter Mensch, und es liegt auf der Hand, dass er den Köder nicht so einfach schluckt.
»Ich finde es ungewöhnlich, dass eine Schülerzeitung sich mit solchen Dingen beschäftigt. Das sind keine Themen für Jugendliche.«
Jetzt kommt er mir allerdings ziemlich naiv vor. Ich kann nicht glauben, dass er wirklich denkt, Gewalt wäre für Jugendliche kein Thema! Ich drehe ihm die gleichen Argumente an, mit denen ich Jennas Einwände abgeschmettert habe, und hoffe, dass sie auch ihn überzeugen.
»Das Tagesgeschehen spielt im Unterricht eine immer größere Rolle. Unsere Lehrer halten uns dazu an, die Zeitungen zu lesen, und finden es richtig, dass die wichtigsten Nachrichten auch in der Schülerzeitung erscheinen, selbst wenn sie eine Reihe von grausamen Morden betreffen. Das Leben ist kein Ponyhof.« Ich schätze, das Letzte ist so eine typische Phrase, wie Sarl sie von mir erwartet. Wie das »Spuck’s aus« meiner Mutter.
Sarl streicht sich mit Zeigefinger und Daumen über Wangen und Kinn und glättet seinen wie Seehundfell schimmernden Bart.
»Was genau möchtest du wissen?«
Gut, denke ich. Er wird mir helfen. Ich hole ein Notizheft aus meinem Rucksack und suche nach einem Stift. In einer meiner Jackentaschen streife ich den Papierdrachen mit Morgans Nummer darauf. In der anderen stoßen meine Finger auf den Füller aus Stahl. Er ist eiskalt. Ich hoffe, es ist noch genug Tinte drin.
Zum Ausprobieren kritzele ich etwas aufs Papier. Glücklicherweise schreibt er noch. Seine Tinte ist dunkel, spielt mehr ins Grau als ins Schwarz. Er malt die Buchstaben mit der Flüssigkeit eines Pinsels.
»Mich würde interessieren, ob Sie glauben, dass zwischen den drei Morden ein Zusammenhang besteht.«
»Das wissen wir noch nicht.«
»Die Opfer sind offenbar alle gutsituiert und beruflich erfolgreich.«
»Wie viele andere. Nach unseren Erkenntnissen besteht keinerlei Verbindung.«
»Noch nicht einmal, was den Vergnügungspark betrifft? Der Werbefachmann wurde an … an seinem Werbeplakat gefunden, der Ingenieur am höchsten Punkt der Achterbahn.«
»Ein makabres Zusammentreffen, nicht wahr? Das ist allerdings ein Indiz, dem wir nachgehen. Aber zwischen diesen beiden und der getöteten Frau im Park gibt es keinen Berührungspunkt.«
»Weiß man etwas über sie? Was genau sie beruflich gemacht hat, ob sie einen Partner hatte …«
Sarl mustert mich amüsiert. »Du würdest eine gute Kriminalistin abgeben, weißt du das? Jedenfalls war Halle Chefredakteurin einer Modezeitschrift. Sie war jung, ehrgeizig und Single. Keine offensichtlichen Feinde.«
»Und was sagen Sie zu der Art und Weise, wie sie umgebracht wurden?«
»Was meinst du
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