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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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Bad, dann stehe ich vor Linas Zimmer. Durch die angelehnte Tür sehe ich sie auf dem Teppich mit ihren Puppen spielen. Ich beneide sie um ihre Unbeschwertheit. Manchmal, wenn ich sie so betrachte, habe ich den Eindruck, dass sie irgendwo in ihrem Schweigen eine Antwort auf die Frage verwahrt, warum ihr Vater sich umgebracht hat, und sie hütet wie ein Geheimnis.
    Meinem Vater weine ich keine Träne nach. Im Gegenteil, an Geburtstagen und anderen Festen lebe ich in der Furcht vor einem seiner Anrufe, nüchtern wie eine ärztliche Diagnose, oder, was noch schlimmer ist, vor einem seiner jämmerlichen Geschenke, die so danebenliegen, dass sie nur ärgerlich sind.
    Ich komme zu Jennas Zimmer. Meine Mutter kehrt mir den Rücken zu und beugt sich über die Schubladen des Kleiderschranks, die unter ihr aufgerissen sind wie hungrige, zu stopfende Mäuler. Ein Stapel Pullover und mehrere Hosen liegen auf dem Bett und warten darauf, eingeräumt zu werden.
    »Ist es nicht noch ein bisschen zu früh, um die Wintersachen wegzupacken?«
    Sie dreht sich lächelnd um. »Hallo, Schatz. Wieso bist du denn schon zu Hause?«
    Ihr kastanienbrauner Pagenkopf wippt schwungvoll und verleiht ihr den Anschein einer Frische, die schon seit Jahren verlorengegangen ist.
    »Ich muss noch ein paar Hausaufgaben machen.«
    Jenna sieht mich verwundert an, fragt aber nicht weiter nach. Vielleicht ist das für sie ein so schöner Tag, dass sie sich ihn auf keinen Fall verderben lassen will, schon gar nicht aus nichtigem Grund.
    Ich überlege, sie zu fragen, ob ich ihr helfen soll, lasse es aber. Meine Strategie lautet, nett zu sein, nicht, sie an meinem Verstand zweifeln zu lassen.
    »Hast du was von deinem Bruder gehört?«
    »Nein.«
    »Wie war es in der Schule?«
    Ausgezeichnete Frage.
    »Alles gut. Es gibt sogar eine Neuigkeit.«
    »Ach ja? Erzähl.«
    »Unser Literaturlehrer, der auch die Schülerzeitung leitet, hat meine Bewerbung als Reporterin angenommen.«
    »Das ist ja großartig! Aber … seit wann interessierst du dich fürs Schreiben?«
    Allerdings. Seit nie, möchte ich am liebsten antworten.
    »Seit einiger Zeit. Aber ich habe dir nichts gesagt, um keine falschen Erwartungen zu wecken. Ich war nicht sicher, ob sie mich nehmen würden …«
    Jenna hält mit einem Pulli in der Hand inne. Ihr Blick ist so beunruhigt und verträumt wie der eines Häftlings, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde.
    »Und wie kommt’s, dass du mich mit solcher Mitteilsamkeit verwöhnst?«
    Ich grinse verlegen, sie ist ja nicht blöd.
    »Also, was brauchst du?«
    »Ich? Nichts.«
    »Komm schon, Alma, ich kenne diesen Blick. Du hast doch was im Sinn, und mir scheint, dass dieses Etwas direkt auf mich abzielt, richtig?«
    »Richtig.«
    »Also, spuck’s aus, wie ihr Jugendlichen sagt.«
    Jennas Auffassung von der Welt der Jugendlichen stammt noch aus der Zeit, als sie ihr selbst angehörte und man solche Ausdrücke cool fand.
    »Hast du noch Kontakt zu deinem Freund … dem Kommissar?«
    Überrascht sieht sie mich an. Sie hatte wohl mit was ganz anderem gerechnet.
    »Ja, hin und wieder. Warum fragst du?«
    »Wegen der Zeitung. Ich möchte einen Artikel schreiben und würde ihn gern dafür interviewen.«
    »Einen Artikel über was?«
    Sie lässt den Pulli in die Schublade fallen.
    »Über einige Verbrechen.«
    »Verbrechen? Was für Verbrechen?«
    »Na ja, Morde.«
    So, jetzt ist es raus.
    Jennas Augen scheinen aus ihren Höhlen zu treten wie hartgekochte Eier ohne Schale.
    »Willst du damit sagen, dass es in eurer Schülerzeitung um solche Dinge geht?«
    »Klar, in der Rubrik ›Aktuelles‹. In der Stadt ist von nichts anderem die Rede.«
    »Alma, ich weiß nicht, ob das gut ist.«
    »Doch, bestimmt. Das wäre ein echter Knüller für meinen Einstand. Es wird sie total umhauen, wenn ich es schaffe, so weit nach oben vorzudringen. Ich muss etwas vorweisen können, sonst werfen sie mich mit Lichtgeschwindigkeit wieder raus.«
    Sie seufzt.
    »Das könnte meine große Chance sein. Bitte hilf mir.«
    Ich glaube, ich habe sie seit zehn Jahren nicht mehr so offen um etwas gebeten.
    »Aber warum ausgerechnet diese Morde? Du bist doch noch ein Kind.«
    Ich zähle bis zehn, um ruhig zu bleiben. »Dann sprich dich mit deinem Freund Sarl ab. Er ist ein anständiger Kerl, das hast du immer gesagt. Er wird mir die Informationen geben, die ich brauche, und dabei die blutigen Details übergehen.«
    Jennas Schultern sinken entspannt herab, und ihr Gesichtsausdruck

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