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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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wie vorhin, als ich der Dame tiefer ins Nichts gefolgt war. »Ich habe mein Armband verloren.«
    Er lebte also noch! Ich war so erleichtert, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Planlos stolperte ich durch den Lagerraum. »Ich komme zu dir, gleich bin ich da.«
    »Das Signal ist schwach«, sagte Marian. »Ihr müsst schon weit weg sein.«
    »Nein«, stammelte ich. »Der Großmeister will nicht umkehren, aber ich beeile mich.« Ich öffnete den Deckel einer Kiste und wühlte mit der freien Hand in Glaskolben, Pipetten und Schreibfedern. »Ich muss nur irgendetwas finden, womit ich –«
    »Flora«, unterbrach mich Marian. »Du kannst mir nicht mehr helfen.«
    »Doch, natürlich«, sagte ich, während ich Schreibblöcke und einen Zirkel zutage förderte. Na ja, vielleicht gab es in dem Koffer dort irgendetwas Brauchbares. Irgendetwas! Ich wandte mich um und ließ die Verschlüsse aufschnappen. Hastig warf ich Mäntel und Decken hinter mich.
    »Was machst du, Flora?«
    Der Koffer war eine Sackgasse. Und er stand mir im Weg. Mit einem Tritt beförderte ich ihn zur Seite. Die nächste Kiste ließ sich schwerer öffnen als die davor. Doch ich schaffte es. Sie enthielt Fluvius Grindeauts Alkoholvorrat. Mehrere Flaschen waren beim Absturz der Nebelkönigin zerbrochen. Ich schnitt mich durch meinen Handschuh hindurch daran. »Mistmistmist!«, rief ich.
    »Flora!« Diesmal schrie Marian meinen Namen. »Denk nach: Ihr seid vermutlich schon Kilometer von mir entfernt. Es hat keinen Sinn, du würdest mich nicht finden.«
    »Ja.« Ich hörte auf, die Kiste zu durchsuchen, ließ meine Hand einfach zwischen den Scherben stecken. »Nein. Aber du kannst nicht dortbleiben. Du darfst nicht.«
    Marian atmete aus.
    Wir schwiegen.
    Ich betrachtete die Maserung des Marmorfußbodens, während mir Tränen über Wangen und Hals rannen und sich an der Stelle sammelten, wo der Helm an meinem Anzug befestigt war. Irgendwann mischte sich ein Rauschen in die Verbindung.
    »Ich liebe dich«, sagte Marian.
    Ich nickte, obwohl er das natürlich nicht sehen konnte. Mit der Rechten umklammerte ich den Mikrofonknopf, so fest ich konnte. »Ich dich auch«, wollte ich sagen, doch meine Stimme versagte und ich brachte nur ein schwaches Krächzen heraus.
    »Schon gut, Flora, ich weiß. Kümmere dich um Ylva, ja?«
    Der Lagerraum verschwamm vor meinen Augen. »Ja«, versprach ich. »Natürlich. Marian, ich –«
    »Flora? Bist du noch da? Ich kann dich nicht m–«
    Seine Worte versanken in den Nebeln.
     
    Die Dame legte dieselbe Strecke, für die wir über eine Woche benötigt hatten, innerhalb von wenigen Stunden zurück. Gemeinsam mit dem Großmeister manövrierte sie das Schiff durch die Fluten. Immer wieder mussten die beiden dabei innehalten und notdürftige Reparaturen durchführen, denn das Nichts fraß sich gnadenlos durch das Material.
    Ich allerdings bekam davon nur wenig mit, denn ich war im Lagerraum zusammengebrochen und hatte dabei meinen gläsernen Helm an der Kante einer Kiste zerschlagen. Die Platzwunde an meiner Stirn blutete, doch ich rollte mich nicht einmal aus den scharfkantigen Trümmern heraus. Stattdessen blieb ich einfach liegen, Stunde um Stunde, während sich die Nebelkönigin immer näher an das rettende Eisenheim heranpirschte.

18
VERLOREN
    Ich erwachte gegen halb sechs in der Früh. Schlafanzug und Laken klebten schweißnass an meinem Körper und mein Kopf fühlte sich an, als hätte ich ihn versehentlich in die Mikrowelle gesteckt. Es dauerte einen Moment, bis ich kapierte, was mich hatte aufschrecken lassen. Denn mein Wecker würde erst in einer Stunde klingeln und mein Zimmer lag in vollkommener Finsternis. Von der Straße waren nur vereinzelte Autos zu hören. Allerdings vibrierte das Handy auf meinem Nachttisch, als würde es jeden Augenblick explodieren. Das Display zeigte Wiebkes Nummer an.
    »Hallo«, sagte ich heiser und presste den Hörer an mein Ohr.
    »Irgendetwas stimmt hier nicht«, flüsterte Wiebke.
    Schlagartig fiel alle Müdigkeit von mir ab. Sogar der Schock über das, was heute Nacht im Nichts geschehen war, trat nun in den Hintergrund. »Wie meinst du das?«
    »Linus glaubt, dass er Flügelschläge vor seinem Fenster gehört hat. Und plötzlich kommt mir die Stille hier irgendwie … zu ruhig vor, verstehst du? Irgendwas liegt in der Luft, aber draußen im Park ist … Ich glaube, Marian liegt dort auf der Bank, aber er geht nicht an sein Telefon und rührt sich nicht. Zu ihm runterzugehen, trauen wir

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