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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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Stirn fühlte sich eisig an, als ich mit zitternden Fingern darüberstrich. Doch wenn man ganz genau hinsah, hob und senkte sich seine Brust.
    Er atmete!
    Weinend kniete ich mich neben die Bank und flocht meine Finger in seine feuchtkühle Hand. Marian atmete! Das Nichts hatte seine Seele also nicht getötet. Vielleicht würde doch noch alles gut. Vielleicht …
    Vorsichtig zog ich an Marians Arm, aber er reagierte nicht. Als Nächstes packte ich ihn bei den Schultern und schüttelte ihn, erst sacht, dann immer heftiger. Sein Kopf rollte hin und her. Doch seine Augen blieben geschlossen.
    »Marian!«, rief ich und verpasste ihm eine Ohrfeige. »Du musst aufwachen, hörst du? Wach sofort auf!« Warum regte er sich denn nicht?
    Nicht weit entfernt öffnete und schloss jemand eine Autotür. Kurz darauf trat mein Vater in seiner menschlichen Gestalt neben mich und legte seine Rechte auf meine farblosen Schultern, während er mit der Linken auf seinem Handy herumtippte und einen Krankenwagen rief.
    »Er wacht nicht auf«, sagte ich.
    Mein Vater nickte. »Ich weiß.«
    »Warum nicht? Was ist mit ihm?«
    Papa steckte sein Telefon weg, legte seine Arme um mich und strich mir den Pony aus der Stirn. »Ich muss mich bei dir entschuldigen, Flora«, sagte er. »Ich war ein verdammter Idiot und es tut mir so leid, dass ich dir nicht geglaubt habe.«
    »Schon gut«, sagte ich.
    »Nein, das ist es nicht«, erklärte er und hatte damit vermutlich recht. »Der Kanzler macht schon seit Jahren, was er will, doch ich habe es nicht wahrhaben wollen. Und ich hätte nie gedacht, dass er sich gegen meine Familie stellen könnte. Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass er einen Keil zwischen uns treibt.« Mein Vater presste die Lippen aufeinander. »Wenn ich mir vorstelle, dass du die ganze Zeit über Angst um deine Freunde haben musstest und ihm und seinem Folterknecht in diesem Turm ausgeliefert warst …«
    »Wie kommt es, dass du plötzlich ganz anderer Meinung bist? Woher weißt du von Barnabas und dem Turm und den Schattenreitern?«
    Mein Vater seufzte. »Der Mantikor hat mir die Augen geöffnet. Weißt du, dieses Wesen zeigt sich nicht oft. Ich habe ihn erst ein Mal in meinem Leben gesehen, in dem Moment, als mein Leben auf der Kippe stand. Ich war noch sehr jung damals. Habe ich dir je davon erzählt, wie Madame Mafalda mich im Alter von fünfzehn Jahren gerettet hat, als ich aus einem fliegenden Zeppelin stürzte?«
    Ich erinnerte mich dunkel daran, wie Madame Mafalda mir in einer meiner ersten Trainigsstunden diese Geschichte erzählt hatte, als ich mich darüber beschwerte, ins kalte Wasser geworfen worden zu sein. Es war eine Geschichte darüber, dass man niemals zu jung war, um Verantwortung zu übernehmen und das Richtige zu tun. »Ich habe davon gehört.«
    Mein Vater nickte. »Kurz bevor Madame Mafalda meinen Sturz abfing, habe ich den Mantikor schon einmal gesehen. Damals sagte er mir, dass ich noch nicht sterben würde. Er ist uralt und spricht von sich selbst als Niemand. Ich glaube allerdings eher, dass er so etwas wie die Seele der Stadt der Seelen ist. Wenn er also sagt, der Kanzler spielt ein falsches Spiel, dann glaube ich ihm das. Ich vertraue ihm.«
    »So wie du auch dem Kanzler vertraut hast?«, fragte ich bitter.
    »Vielleicht. Ja. Anscheinend neige ich zu so etwas.« Er rückte die Brille auf seiner Nase zurecht. »Ich möchte dich noch einmal um Verzeihung bitten. Von jetzt an wird so etwas nie wieder passieren, das verspreche ich dir. Und der Eiserne Kanzler steht nicht länger in meinen Diensten.«
    Ich schlang meine Arme um seinen Hals und presste mein noch immer tränennasses Gesicht an seine Brust. »Gut«, nuschelte ich in den Stoff seiner Jacke. In diesem Augenblick zerschnitt das Geräusch einer Sirene die Nacht. Blaulicht, das über Häuserwände tanzte, erinnerte mich daran, zu meinem Körper zurückzukehren.
     
    »Er sieht aus, als würde er schlafen«, sagte Ylva, als wir zwei Tage später an Marians Krankenhausbett saßen. Sie war beinahe genauso blass wie ihr Bruder. Unsere Expedition ins Nichts und die Angst um Marian hatte sie von uns allen am meisten mitgenommen. Mittlerweile trug sie noch eine Schicht Kleidung mehr, sodass ihre schmächtige Gestalt kaum noch zu erahnen war, unter all dem Stoff. Ihr Haar bildete einen strähnigen Knoten an ihrem Hinterkopf und ihre Augen wirkten so müde, als hätte sie seit Wochen nicht richtig geschlafen. Nun ja, wer von uns Wandernden tat das

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