Nacht aus Rauch und Nebel
sich so leicht und so hoffnungslos verirren konnte, dass es der pure Wahnsinn war, sich so weit von der Nebelkönigin zu entfernen. Dennoch tat ich es. Nur am Rande registrierte ich Marians Stimme, die ganz leise in meinem Helm erklang, wo nur ich sie hören konnte. »Ich folge euch in sicherem Abstand. Mach dir keine Sorgen, Flora, ich passe auf dich auf«, wisperte er.
Die Dame führte mich immer weiter in die Dunkelheit. Nicht einmal mehr die Lichter des Schiffs waren hinter uns noch zu erkennen. Schon bald umfing uns vollkommene Finsternis. Dennoch konnte ich die Dame auch weiterhin sehen. Sie schien von innen heraus zu leuchten. Ein sachtes Schimmern ging von ihr aus, das ihre Haut und ihre Kleider überzog wie eine Schicht aus Perlmutt. So wie neulich, als Sieben und ich ihr im Flur begegnet waren und ich einen Blick auf ihren Unterarm erhascht hatte.
Endlich blieben wir stehen.
»Ich vermute, du hast längst erfahren, dass der Eiserne Kanzler unsterblich ist, weil seine Seele in Eisenheim blieb, als sein Körper in der realen Welt starb«, begann die Dame. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Dennoch nickte ich. »Was jedoch die Wenigsten wissen«, fuhr sie fort, »ist die Tatsache, dass Alexander von Berg nicht einfach so unsterblich wurde. Er benötigte zahllose Versuche, bis er den richtigen Weg herausfand. Und das Ergebnis eines dieser Versuche bin ich. – Ja«, sagte sie, als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkte, »auch ich bin älter, als ich aussehe. Weitaus älter. Alexander und ich wuchsen zusammen auf, damals, vor vielen Jahrhunderten. Er war der Sohn eines adligen Kaufmanns, meine Eltern betrieben eine Taverne im selben Ort. Und unsere Familien waren die einzigen Wandernden weit und breit, weswegen man schon früh bestimmte, dass wir beiden später einmal heiraten sollten. Doch mehr als Freundschaft habe ich nie für ihn empfunden und das verletzte Alexander so sehr, dass er beschloss, sich dafür an mir zu rächen.«
Ich biss mir auf die Zunge. Was der Eiserne Kanzler anrichten konnte, wenn er wütend war, hatte ich schließlich am eigenen Leib erfahren.
»So bat er mich eines Nachts in Eisenheim unter einem Vorwand in sein Labor, in dem er schon lange nach einer Möglichkeit suchte, ewig leben zu können. Leider erkannte ich zu spät, was er vorhatte, nämlich dass ich das Versuchskaninchen bei der Überprüfung seiner neuesten Theorie spielen sollte. Da hatte mich Alexander schon auf einen Tisch geschnallt und an seine alchimistischen Apparaturen angeschlossen. Ehe ich mich wehren konnte, versank ich in einem Bad aus Dunkler Materie. Als ich wieder zu mir kam, war dort ein Loch in meiner Brust, wo vorher mein Herz gesessen hatte. Und in diesem Loch tickte eine mechanische Spieluhr, die mich seither am Leben erhält. Mein echtes Herz hingegen trieb neben mir in der Dunklen Energie und ich musste dabei zusehen, wie es sich in Stein verwandelte. In einen Stein, der wenig später zum Himmel aufstieg und erst Jahrhunderte später wieder herabfiel.«
»Der Weiße Löwe«, flüsterte ich.
Die Dame nickte. Während der Auseinandersetzung mit Marian war der Ausschnitt ihres Kleides verrutscht und nun erkannte ich auch die feinen Linien, die sich über ihren Brustkorb und ihr Dekolleté zogen. Die Narben jener Nacht.
»Der Stein ist allerdings nicht das Wichtigste, was bei diesem Experiment entstand, genauso wenig wie meine Unsterblichkeit, die ich dem Metall in meinem Körper zu verdanken habe, das mich seither davon abhält zu altern. Denn noch etwas geschah in dieser Nacht: Noch niemals zuvor hatte jemand in der Schattenwelt so viel Dunkle Energie zugleich auf einen winzigen Punkt gerichtet, wie Alexander von Berg es damals tat. Und diese Energie hatte Auswirkungen, die er vorher nicht bedacht hatte und die die Schattenwelt ins Wanken brachten.« Die Dame rieb sich vor plötzlichem Unbehagen über die silbrig glänzenden Arme. »Es war die Nacht, in der das Nichts entstand«, sagte sie tonlos. »Zuerst waren es nur zarte Nebelschwaden am Horizont. Doch seither ist es mehr geworden und immer weiter auf Eisenheim zugekrochen.«
Nun wurde mir tatsächlich schwindelig. Dunkle Flecken tanzten in meinem Blickfeld. Der Eiserne Kanzler selbst hatte also das Nichts in die Schattenwelt gebracht! Und er hatte damit vielleicht sogar den Fortbestand Eisenheims und damit der Menschheit aufs Spiel gesetzt. Denn wenn es keine Schattenwelt mehr gab, wohin sollten die Seelen dann wandern? Meine Knie
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