Nacht aus Rauch und Nebel
nur hier und dort mal ein Wort. Neben dem Manuskript türmten sich leere Kaffeetassen, denen ein schimmeliger Geruch entstieg.
»Sie lassen sich gehen«, begrüßte ich ihn.
Der Kanzler schenkte mir ein müdes Lächeln. »Ganz und gar nicht«, sagte er und legte die Feder zur Seite. »Ich bin gerade fertig geworden.«
»Ach ja?« Ich starrte auf den Stapel Papier vor ihm. Es mussten einige Hundert Blätter sein. »Dann haben Sie sich ja ganz schön rangehalten in den letzten Wochen.«
Der linke Mundwinkel des Kanzlers zuckte. »Ich hatte sonst nichts zu tun.« Er strich sich eine verknotete Locke aus der Stirn.
»Nun, ich war damit beschäftigt, die Bevölkerung zu evakuieren, damit Ihr Nichts nicht alle umbringt.«
»Verstehe.« Der Kanzler nickte. »Allerdings würde ich nicht sagen, dass es mein Nichts ist, das Eisenheim bedroht.«
»Nein?« Ich hob eine Augenbraue. »Ich habe inzwischen von meiner Mutter erfahren, was damals geschehen ist. Sie haben das Nichts in die Schattenwelt gebracht. Sie allein. Es geschah bei Ihrem Experiment.«
»Schon«, murmelte der Kanzler und lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. »Aber ich habe nie verstanden, wieso. Erklären Sie es mir, Flora: Weshalb ist es plötzlich aufgetaucht? Warum bewegt es sich nun immer weiter auf die Stadt zu?«
»Das haben wir mittlerweile herausgefunden«, sagte ich und berichtete ihm von der Prophezeiung und dem, was wir bisher über ihre Bedeutung wussten. Noch während ich erzählte, erschien ein Lächeln auf dem uralten jungenhaften Gesicht.
»So, so, die gute Meta zieht es also an. Dass ich darauf nicht gekommen bin. Jetzt ergibt es einen Sinn. Ich habe der Schattenwelt damals zu viel Energie entzogen und dabei so etwas wie ein Schwarzes Loch kreiert. Die völlige Abwesenheit von Materie. Nichts.«
»Es gibt keinen Grund, deshalb so fröhlich zu sein«, beschied ich ihn.
»Natürlich nicht.« Das Lächeln verschwand. »Immerhin scheint der Weiße Löwe eine bedeutende Rolle bei alledem zu spielen. Ohne ihn … Was hast du nur für eine Dummheit begangen, kleine Flora? Erkennst du nun endlich, was du angerichtet hast?« Der Kanzler stand auf und trat am Schreibtisch vorbei auf mich zu. Sein Blick hing sehnsüchtig wie eh und je an dem Gemälde über der Tür.
»Damals war es die richtige Entscheidung.«
Der Kanzler seufzte. »Nein, das war sie niemals, Aber das ist nun nicht mehr wichtig.«
»Wie meinen Sie das?«
Der Kanzler zuckte mit den Achseln und antwortete mit einer Gegenfrage: »Was führt dich zu mir, kleine Flora?«
»Hören Sie auf, mich kleine Flora zu nennen.«
»Verzeihung, Hoheit. Aber was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?«
Ich holte tief Luft und zwang mich, meinem Feind in die Augen zu sehen. »Ich brauche Ihre Hilfe. Der Großmeister glaubt, wenn wir Ihr Experiment rückgängig machen und meiner Mutter ihr Herz zurückgeben würden, könnten wir das Nichts vielleicht aufhalten. Bloß weiß niemand außer Ihnen, wie das gehen könnte.«
Der Kanzler runzelte die Stirn. »Abgesehen davon, dass man dazu den Stein bräuchte.«
Ich nagte an meiner Unterlippe und konnte nicht glauben, was ich da tat, doch ich tat es. »Darum könnte ich mich kümmern.«
»Nein!« Die Augen des Kanzlers weiteten sich. Er tat einen weiteren Schritt auf mich zu und legte seine Hände auf meine Schultern. »Sollte es etwa … Kann es denn sein, dass …« Er leckte sich die Lippen. »Ist das wahr?«
Mein Blick war Antwort genug. Und obwohl ich gerade meinem ärgsten Feind mein größtes Geheimnis offenbart hatte, fürchtete ich mich nicht, versuchte nicht einmal, mich seinem Griff zu entwinden. Das Blatt hatte sich gewendet. Der Kanzler war entmachtet worden. Vor mir stand ein alter Mann im Bademantel.
»Was für ein Bluff!« Ohne Vorwarnung und mit deutlich mehr Kraft, als ich ihm zugetraut hatte, packte er mich und wirbelte mich im Kreis herum. »Das ist ja großartig!«
»Kann schon sein«, sagte ich, kaum dass meine Füße wieder auf dem Boden standen, und verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber was ist nun mit dem Experiment? Helfen Sie mir oder nicht?«
Der Kanzler betrachtete mich einen Augenblick lang, dann nickte er. »Ja«, sagte er und begann beiläufig die alten Kaffeetassen von seinem Schreibtisch zu sammeln. »Allerdings hat meine Hilfe einen Preis.«
Ich seufzte. »Ich werde Ihnen den Stein niemals überlassen, das muss Ihnen doch klar sein. Sie werden nicht einmal in seine Nähe kommen.«
»Wie
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