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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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gesäumt von Baracken und Villen, die wie Beulen auf dem uralten Leib hockten. Dazwischen klebten Lehmhütten. Überall blätterte Farbe ab, zogen sich Risse durch Gemäuer. Verbogene Stahlträger ragten aus Wänden, Treppengeländer rosteten.
    Trotzdem wirkte das Backand lebendiger als der Rest der Stadt, denn alles schien in Bewegung zu sein, angefangen bei den unzähligen Heliometern, die herumschwirrten und mit Lampions um die Wette leuchteten. Jeder noch so armselige Verschlag war hell erleuchtet. Lachen lag in der Luft, genauso wie das Wehklagen der gequälten Künstlerseelen auf der Suche nach Inspiration, dazwischen mischte sich Geigenmusik. Und in den Gängen und Treppenhäusern wuselten Menschen umher: Damen in glitzernden Roben wie meiner, Kinder mit geschminkten Gesichtern, Männer mit Zeichenmappen und Augen voller Weltschmerz. Auf einem Flachdach diskutierte eine Gruppe von Greisinnen. Der Absinth hatte ihre Zungen schwer und ihre Pupillen trüb gemacht.
    Ich hätte mich niemals allein in diesem Komplex zurechtgefunden, es gab so viele Ebenen! Flure, die als Garküchen dienten, Zimmer, in denen Droschken hielten. Treppenhäuser voller Zeitungskioske. Dächer, die zum Flanieren einluden. Ich kam kaum aus dem Staunen heraus. Hunderte von Menschen lebten hier gemeinsam in nur einem Haus. Einem Haus, das einer Stadt für sich glich.
    Der Mantikor führte mich immer tiefer in das Gewirr hinein; anscheinend kannte er sich bestens aus in diesem Durcheinander. Auffällig war, dass wir uns stetig aufwärtsbewegten. Hier eine Treppe, dort eine Schräge. Es dauerte eine Weile, doch schließlich erreichten wir eine Plattform hoch über den übrigen Dächern. Ein gewelltes Gebilde thronte darauf, dessen Perlmuttpanzerung unter unzähligen Lämpchen schimmerte. Die eine Seite, dort, wo das Gebäude wie eine Muschel auseinanderklaffte, war verglast, sodass man auch von drinnen den Ausblick auf die Stadt und das dahinterliegende Nichts genießen konnte.
    Wir traten durch eine Flügeltür aus funkelndem Silber ein und fanden uns in einem Saal voller Menschen wieder. Fremde Gerüche lagen in der Luft, Gewürze vielleicht. Auch von innen schimmerte und glänzte die Muschel unter Tausenden von Lichtpunkten, sodass man das Gefühl hatte, zu einem Sternenhimmel hinaufzublicken. Am auffälligsten war jedoch das altmodische Karussell in der Mitte des Raumes. Holzpferde mit glitzernden Schweifen und aufgemalten Wimpern trugen Gäste in Abendgarderobe, während andere Besucher sich darum herumgruppiert hatten und zusahen. Dazwischen balancierten Kellner Tabletts voller Champagnergläser.
    Doch dies war nicht einfach nur ein rauschendes Fest mit Harfenmusik, Tanz und Gesprächen. Zwischen den feinen Damen und Herren entdeckte ich auch Männer und Frauen in Kitteln, die mit Pailletten und Farben hinter Staffeleien herumwerkelten. Tänzerinnen drehten sich auf kleinen Podesten und da, war das nicht eine Fotografin? Die junge Frau im hochgeschlossenen Kleid hantierte mit einem altertümlichen Apparat und einem schwarzen Tuch herum. Ich beneidete sie um ihr Outfit. Und ich entdeckte ihr Motiv: ein Mädchen, das sich auf einem Diwan rekelte. Nackt.
    Der Mantikor schien sich für all das jedoch nicht im Geringsten zu interessieren. Er schlängelte sich mit dem gleichen Tempo durch den Saal, mit dem er mich auch hierhergeführt hatte. Erst jetzt fiel mir auf, dass keiner der Gäste ihn auch nur eines Blickes würdigte. War das furchterregende Wesen am Ende doch nur ein Produkt meiner überreizten Fantasie? Die Spannung, die ich bereits vorhin gespürt hatte, lag noch immer in jedem Atemzug, den ich tat. Selbst hier drinnen sorgte sie dafür, dass ein feines Flirren meinen Nacken überzog.
    Endlich schien der Mantikor sein Ziel erreicht zu haben: Mit sich kringelndem Schwanz strich er um einen unsagbar fetten Mann herum, der in einem bestickten Kaftan auf einem Thron saß. Die Geste, mit der er einen der Kellner zu sich heranwinkte, ließ mich vermuten, dass es sich bei ihm um den Gastgeber handelte. Vorsichtig trat auch ich näher.
    »Das ist Arif«, sagte der Mantikor. Von einer Sekunde zur nächsten hatte er sich wieder unsichtbar gemacht. Geblieben war nur seine Stimme direkt neben meinem Ohr. »Frag ihn.«
    »Wonach?«
    Der Mantikor antwortete nicht. Inzwischen hatte mich auch der Gastgeber im Kaftan entdeckt und strahlte mich an. »Prinzessin!«, rief er. »Was für eine Überraschung! Welche Ehre, Sie heute Abend begrüßen zu

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