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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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schmutzigem Kopfsteinpflaster und eines erkannte ich gleich: Das hier war nicht das Backand. Keine Spur von dem muschelförmigen Palast. Stattdessen hatten sich etwa hundert Menschen rechts von mir versammelt und starrten auf eine Wand aus … Nichts! Eine Wand aus Nichts, aus der etwas herausragte. Mauerstücke und … Du meine Güte! Es war ein Teil Notre-Dames!
    Taumelnd kam ich auf die Beine. Meine Knie fühlten sich wie Pudding an und meine Füße gehorchten mir nicht. Dennoch stolperte ich zu den Leuten hinüber. Was ist passiert?, wollte ich eine Frau mit einem Kind an der Hand fragen, doch die Worte fanden nicht den Weg über meine Lippen. Stattdessen schwieg ich mit all den anderen, weil Starren und Schweigen alles war, wozu wir im Moment fähig waren. Das Nichts türmte sich vor uns auf, dunkel, bedrohlich. Es machte einen wahnsinnig. Ich kannte das Nichts, ich hatte schon sehr viel näher davorgestanden. Aber das hier war hundertmal schlimmer!
    Denn es war geschehen: Das Nichts hatte sich bewegt. Es hatte zugebissen, ein weiteres Stück der Schattenwelt zerfetzt, verschlungen und dabei die Hälfte der ehrwürdigen Mauern Notre-Dames dem Erdboden gleichgemacht! Wie ein Gerippe ragten die beiden Türme der Kathedrale und ein Teil des Hauptschiffs aus der Finsternis des Nichts hervor. Der Rest war verschwunden. Tot.
    Ich zuckte zusammen, als mich jemand am Ellbogen berührte.
    »Man kann es nicht begreifen«, murmelte Madame Mafalda hinter mir. Ihre Stimme drang wie aus weiter Ferne an mein Ohr.
    Tränen traten mir in die Augen. »Nein«, hauchte ich, ohne meinen Blick vom Nichts und den Überresten des Hauptquartiers des Grauen Bundes zu lösen. Unsere Worte zerschnitten die Stille, die über dem Platz gelegen hatte. Als hätten sie einen Bann gebrochen, begannen nun auch die umstehenden Leute damit, sich tuschelnd zu unterhalten und das Unfassbare in Sätze zu kleiden.
    »Es ist geschehen«, sagte jemand.
    »Wie soll es nun weitergehen?«, fragte ein anderer.
    Ja, dachte ich und presste die Kiefer aufeinander, wie? Das Pochen meines Kopfschmerzes intensivierte sich. Abseits von den anderen hockte eine bleiche Gestalt auf dem Boden, hielt sich die Hände vor Mund und Nase und starrte den ausgefransten Sandstein an. Marian. Auf wackligen Beinen trat ich neben ihn und schob meine Hand auf seine Schulter. Er regte sich nicht. Das Haar hing ihm schmutzig und wirr in die Stirn, die linke Braue war aufgeplatzt, die Haut darunter geschwollen und von einem Bluterguss dunkel verfärbt. Sein Blick klebte an den Überresten der Kathedrale.
    Eine Weile betrachteten wir gemeinsam den Rest eines Simses, bis ich es irgendwann doch nicht mehr aushielt. »Sind … Was ist mit den anderen?«, fragte ich tonlos. Marian senkte den Kopf und verbarg das Gesicht einen Augenblick lang vollständig in seinen Handflächen. Ich hörte ihn ausatmen. Dann stand er auf und kehrte der Ruine Notre-Dames den Rücken zu. »Wie viele Opfer es in der ganzen Stadt gibt, wissen wir noch nicht. Wir hier haben das Nichts kommen sehen und das Gebäude versucht zu evakuieren. Doch einige haben es nicht geschafft. Arkon und seine Leute …« Er sah an mir vorbei. »Sie sind im falschen Moment eingeschlafen. Wir konnten nichts tun.«
    Ich schluckte. Der Gedanke an den großen, schweigsamen Krieger und seine Freunde, die uns dabei geholfen hatten, die Zwillinge zu bewachen, schnürte mir die Kehle zu. »Was ist passiert, Marian?«, flüsterte ich.
    Er zuckte mit den Achseln. »Ich war gerade zurückgekommen, als sich der Himmel plötzlich veränderte. Da war so eine Spannung in der Luft, ich weiß auch nicht, aber …«
    Ich nickte.
    »Wir haben alle herausgeholt und dort drüben versammelt.« Mit einem Schulterrucken deutete er zum Eingangsportal, wo tatsächlich eine Gruppe Menschen in grauen Mänteln stand. »Es war schrecklich und Amadé –« Die Erinnerung schien ihm einen Schauder über den Rücken zu jagen. »Amadé hat geschrien. Sie war … vollkommen kopflos, nicht sie selbst, und ist an uns allen vorbei in Richtung des Krawoster Grunds davongestürzt. Du weißt doch, sie hat einen kleinen Sohn, dessen Seele irgendwo dort verschollen ist. Ich wollte ihr nach, doch dann kam das Nichts und ich konnte nicht anders, ich bin zum Backand gerannt, um nach dir zu suchen.«
    »Aber du wusstest doch gar nicht, dass ich dort war«, warf ich ein.
    Marian machte eine wegwerfende Bewegung. »Wo bitte hättest du sonst in diesem Kleid hingehen sollen? Ich

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