Nacht aus Rauch und Nebel
Aquarien voller Salz- und Süßwasserbewohner. In der Mitte des Raumes gab es außerdem noch einige Wannen, in denen mein Vater seine Wasserpflanzen aufbewahrte, und Regale mit Vitamintabletten, Flockenfutter und winzigen Dekotauchern. Das Schaufenster wurde von Wasserschildkröten bevölkert und ein Schwarm Neonfische gleich neben der Tür schwamm neugierig zur Scheibe, als ich an ihnen vorüberging. Ich schob mich an dem riesigen Meerwasseraquarium zu meiner Linken vorbei.
»Hallo?«, versuchte ich es, erhielt jedoch keine Antwort. Mein Blick strich über die Theke mit der altmodischen Registrierkasse darauf. Es sah meinem Vater ganz und gar nicht ähnlich, den Laden offen und unbeaufsichtigt zu lassen. Selbst wenn er sich nur einen Kaffee aus einer der Eisdielen auf dem nahe gelegenen Kaiser-Otto-Platz genehmigte, schloss er ab. Er musste also hier sein. Hockte er vielleicht zwischen irgendwelchen Regalen? Versunken in einen Bildband oder die Beschreibung der Inhaltsstoffe eines neuen Anti-Algen-Mittels?
»Papa? Wo bist du?« Ich schritt Gang für Gang ab, vergeblich. Wo steckte mein Vater nur? Der Einbruch von gestern war nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Kein Wunder, dass mich schon wieder ein ungutes Gefühl beschlich, zumindest, bis mir wieder die kleine Abstellkammer im rückwärtigen Teil des Gebäudes einfiel, die ich schon fast vergessen hatte. Vom Verkaufsraum aus war sie nicht zu sehen, weil eine Wand aus Pumpen und Säcken mit farbigem Kies sie verbarg. Und eigentlich benutzte mein Vater sie höchstens einmal, um dort einen Regenschirm zum Trocknen aufzuspannen. Doch heute …
Mit ein paar langen Schritten war ich dort. Die Tür der Kammer stand einen Spaltbreit offen und ich zögerte nicht, sie ganz aufzustoßen.
»Da bist du ja!« Ich seufzte erleichtert auf.
Mein Vater kauerte auf einem Stuhl und war tatsächlich ganz vertieft in seine Gedanken.
»Hallo? Ist jemand zu Hause?« Ich schnippte vor seinem Gesicht herum.
Mein Vater zuckte zusammen. Von einer Sekunde zur nächsten wich alle Farbe aus seinem Gesicht. Dann erkannte er mich. »Ah«, sagte er und drückte den Rücken durch, als habe er stundenlang so gebeugt dagesessen. »Da bist du ja endlich.« Zu meiner Verwunderung klang er ein wenig ärgerlich.
»Schneller ging es nicht.« Abgesehen davon, dass ich mich sofort nachdem ich seine Nachricht gelesen hatte auf den Weg gemacht hatte: Erwartete er etwa, dass ich die Schule und das Training schwänzte? Nur weil er gelernt hatte zu simsen? »Was gibt es denn?«
Mein Vater blinzelte durch die runden Gläser seiner Brille und verzog die Mundwinkel. »Da ich die ganze nächste Woche über auf Vortragsreise sein werde, wollte ich vorher noch ein paar Dinge mit dir besprechen«, erklärte mein Vater und deutete auf den fertig gepackten Koffer zu seinen Füßen. »Mein Zug geht in einer Dreiviertelstunde, deshalb mache ich es kurz: Was die reale Welt betrifft, habe ich mit Christabel und Marian besprochen, dass ab sofort immer einer von beiden in deiner Nähe bleiben wird. In der Schattenwelt wünsche ich, dass du im Palast einziehst. Du warst heute Nacht schon wieder nicht dort.«
Ich öffnete den Mund, um ihm zu sagen, dass ich mich auf gar keinen Fall Nacht für Nacht in diesem staubigen Kasten verstecken würde, doch mein Vater ließ mich nicht zu Wort kommen.
»Außerdem habe ich noch einmal mit dem Kanzler über unsere Ideen gesprochen. Dein Einwurf erscheint uns ebenfalls sinnvoll. Dennoch haben wir beschlossen, zunächst mit dem Bau des Aquariums zu beginnen.«
Ich verdrehte die Augen. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst!«, rief ich. »Du kannst dir doch nicht wieder und immer wieder vom Kanzler sagen lassen, was du tun sollst. Du bist Fürst der Schattenwelt. Du allein!« Ich schnaubte vor Wut.
In den Augen meines Vaters flackerte die alte Angst vor allem und jedem auf, doch heute beunruhigte sie mich noch mehr als sonst. Denn neuerdings war ein glimmender Funken dazugekommen und verlieh meinem Vater etwas Verzweifeltes. Furcht erfüllte ihn wie eh und je, doch mittlerweile war es eine Furcht, die gefährlich nahe an Wahnsinn grenzte. »Nun, die Argumente des Kanzlers waren –«
»Ich will nichts davon hören«, beschied ich ihn und wandte mich zum Gehen. »Ich hoffe, du hast eine schöne Vortragsreise, mach es gut.«
»Schade«, rief mein Vater mir hinterher. »Ich dachte, die Schattenwelt würde dir auch am Herzen liegen. Deshalb habe ich nämlich schon überall
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