Nacht aus Rauch und Nebel
schon bald Computer und Handys und–«
»Sehr schön.« Ich versuchte zu lächeln. Vom Mantikor fehlte weiterhin jede Spur. Aber vielleicht war das auch besser so. Transportation! Was interessierte mich das? Ich hatte gerade wirklich andere Probleme. »Vielen Dank für Ihre Zeit«, sagte ich deshalb rasch zu Arif, der nun überschwänglich darum bat, ich möge doch bei meinem Vater ein gutes Wort für seine Forschung einlegen. Ich nickte, doch mit den Gedanken war ich längst woanders. Irgendetwas stimmte hier doch nicht … Wieso hatte die Musik ausgesetzt? Und weshalb sahen die übrigen Gäste plötzlich so besorgt aus?
Mir fiel auf, dass die Dame noch immer vom Fenster aus zu uns herübersah und uns beobachtete. Die reglosen Züge ihrer Maske verrieten nicht, was sie empfand. Allerdings versteiften sich mit einem Mal ihre Schultern und in meinem Nacken steigerte sich das Flirren, das mich schon den ganzen Abend über begleitete, nun zum Stechen unzähliger Nadeln. Der Schmerz in meiner Brust überkam mich so jäh, dass die Welt vor meinen Augen flackerte. Was Arif sagte, drang nur noch in Fetzen an mein Ohr. Ich wollte mich an seinem Thron abstützen, verfehlte ihn aber. Das Sektglas in meiner Hand zerbrach, ich blickte auf die Lichter unter der Decke – dann nichts mehr.
Als ich ein paar Sekunden später wieder zu mir kam, lag ich auf dem Boden. Etwas in meinem Innern hatte sich um mein Herz gelegt, um es zu zerquetschen. Ich keuchte und dachte an den Weißen Löwen, dessen Brüllen in meinen Gedanken tobte. Ich musste zu ihm. Musste den Stein retten, in Sicherheit bringen, zu mir holen und an mich drücken. Menschen rannten an mir vorbei zur Glasfront, durch die sich ein klaffender Riss zog. Nur ich blieb, wo ich war, konnte nicht den kleinsten Muskel rühren. Nicht einmal meine Pupillen gehorchten mir noch. Ich spürte, dass mein Mund offen stand, ein dünner Speichelfaden über meine rechte Wange rann. Doch ich war nicht in der Lage, ihn mir abzuwischen.
»Desiderius«, flüsterte der Mantikor irgendwo außerhalb meines Sichtfeldes. Der Name des Gelehrten hallte in meinem Innern nach.
Dann erreichte der Schmerz in meiner Brust seinen Höhepunkt. Ich hörte mich selbst schreien. Menschen stürzten wild durcheinander. Ein gewaltiges Donnern ließ alles um mich herum erzittern.
Eisenheim bebte.
Und die Schattenwelt zersplitterte in Abermillionen von Scherben.
8
DAS ENDE
Die Dunkelheit war ein Tier, eine gereizte Bestie, die sich auf mich stürzte und mich verschlang. Sie wälzte sich auf meine Brust und schnürte mir die Luft ab. Doch es machte mir nichts aus, fast genoss ich ihre düstere Schwere. Die Schwärze fühlte sich angenehm auf der Haut an. Friedlich drang sie durch die Poren meines Körpers und brachte den Strudel meiner Gedanken und Gefühle zum Schweigen, bis ich ruhig dahintrieb. Zeit wurde bedeutungslos, verwandelte sich in einen Strom aus Finsternis und Vergessen. Und mein Kopf war leer und gleichzeitig so schwer wie ein Mühlstein, der mich in die Tiefe zog. In wattige Finsternis.
Ich weiß nicht, wie lange ich bewusstlos war. Vielleicht nur Minuten, vielleicht Stunden? Als ich die Augen aufschlug, erkannte ich über mir den Himmel. Rauchschwaden brodelten dort oben wie in einem Hexenkessel. Mein Atem stieg in zarten Wölkchen vor mir auf, als wolle er sich dazugesellen. Doch ich fror nicht. Vorsichtig bewegte ich die Fingerspitzen und stellte fest, dass ich auf etwas Weichem lag. Meinem Mantel vielleicht? Aber nein, den hatte jemand über mich gebreitet. Um mich herum hörte ich Schritte. Menschen, die herbeigerannt kamen und scharf die Luft einsogen. Es mussten viele sein. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Sie liefen einfach schräg hinter mir entlang und blieben ein paar Meter weiter stehen.
Ein spitzer Schmerz schoss durch meinen Kopf, als ich versuchte, ihn anzuheben, und sammelte sich glühend hinter meinen Augen. Für einen Moment schloss ich die Lider, dann warf ich entschlossen den Mantel von mir und setzte mich auf. Der Schmerz traf mich mit einer solchen Wucht, beinahe wäre ich erneut ohnmächtig geworden. Übelkeit breitete sich in meiner Magengrube aus. Ich würgte und krallte mich in den zweiten grauen Mantel, auf den man mich gebettet hatte. Es dauerte ein paar Minuten, bis sich das Stechen zu einem halbwegs erträglichen Pochen hinter meiner Stirn zurückzog. Dann erst fühlte ich mich dazu in der Lage, mich blinzelnd umzusehen.
Ich befand mich auf einem Platz aus
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