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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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fand dich bewusstlos in Arifs Palast und brachte dich her. Es grenzt an ein Wunder, dass dich die Scherben der zersprungenen Panoramawand nicht verletzt haben. Alles um dich herum war von Glassplittern bedeckt.«
    »Aber du hast einen abgekriegt?« Ich deutete auf seine Augenbraue.
    »Kann sein. Vielleicht war es aber auch einer der herabstürzenden Balken der Dachkonstruktion. Ich –« Er schnaubte. Ohne Vorwarnung zog er mich an sich und hielt mich so fest, dass ich kaum Luft bekam. Aber das machte nichts. Ich schmiegte mich in seine Arme. »Danke«, nuschelte ich an seine Brust. »Fürs Retten.«
    »Immer.«
    Der Geruch von Wald und Erde hüllte mich ein. Marians Hände lagen warm auf meinem Rücken und einige Minuten lang lauschte ich seinen Atemzügen. Es tat gut, beruhigte mich. Dennoch löste ich mich schließlich wieder von ihm, sah ihm in die Augen. Ich biss mir auf die Unterlippe. Wir waren vielleicht nicht unbedingt so etwas wie ein Paar, dafür stand zu viel zwischen uns. Aber reichte es nicht zumindest für Freundschaft?
    »Was ist?«, fragte Marian. Hinter ihm ragten das Nichts und die verschonte Hälfte Notre-Dames in den Himmel Eisenheims. Ja, wir waren Freunde. Wenigstens das. Freunde, die einander beistanden.
    »Ich muss dir etwas sagen«, begann ich deshalb.
    Marian zog die Stirn kraus.
    Mit einem Seitenblick musterte ich die Kämpfer des Grauen Bundes, die sich noch immer um das Hauptportal drängten, und die Menschenmenge, die sich nun langsam näher an das Nichts heranwagte. »Nicht hier«, sagte ich. »Irgendwo, wo wir ungestört sind.«
    »Ungestört?«, fragte Marian. Dann nickte er. »Also gut, komm mit.« Er streckte mir die Hand entgegen. Wie selbstverständlich flochten sich meine Finger in seine und ich ließ mich von ihm in einem weiten Bogen um den Platz bis zur anderen Seite der Kathedrale führen. Durch einen der Seiteneingänge betraten wir das Gemäuer.
    Vor uns lagen ausgestorbene Flure und unzählige leere Zimmer. Ein Knarren und Mahlen hing in der Luft, als würde das Gebäude jeden Augenblick einstürzen, und am Ende eines Ganges begann das Nichts. »Ist das nicht zu gefährlich?«, fragte ich.
    »Wahrscheinlich.«
    »Dann sollten wir lieber nicht hier drinnen sein.«
    Wir stiegen eine Treppe hinauf.
    »Nein.«
    Kurz darauf erreichten wir den Trakt mit den Schlafzimmern der Kämpfer. Ich wollte wie gewohnt links abbiegen, um zu meinem zu gelangen, doch dort, wo der Flur einen Knick hätte machen sollen, war nichts mehr, nur noch ein klaffendes Loch. Teppichboden, der plötzlich aufhörte und sich in einzelnen Fäden verlor, verheddert an zerbrochenem Stein. Erst nach einem etwa zwei Meter breiten Abgrund ging es weiter. Ich konnte meine Zimmertür von hier aus sehen, doch mir war schleierhaft, wie ich jemals wieder zu ihr hinübergelangen sollte.
    Ehe ich eine Lösung für dieses Problem finden konnte, zog Marian mich weiter. Ich war noch nie in seinem Zimmer gewesen, jedenfalls nicht, seit ich eine Wandernde geworden war. Als wir es jedoch betraten, erinnerte ich mich wieder dunkel daran, wie es ausgesehen hatte, als ich noch eine Schlafende gewesen war. Bevor das Nichts über diesen Raum hergefallen war.
    Zum Beispiel hatte es eindeutig vier Wände besessen, nicht bloß drei. Es hatte einen Kleiderschrank gegeben, der nun verschwunden war. Und eine Sammlung von Kampfstöcken, die danebengelehnt hatten. Nun war dort allerdings überhaupt nichts mehr. Die Dielen des Fußbodens waren geborsten und hingen in der Luft, wo sich eigentlich die linke Seite des Zimmers erstrecken sollte.
    Marian presste die Lippen aufeinander und führte mich nach rechts zu einem mit Samt bezogenen Sofa, das ihm anscheinend als Bett diente. Hastig wischte er eine Decke herunter und wir setzten uns. Noch immer hielten wir uns bei den Händen, den Blick direkt auf die fehlende Wand und die fehlende Welt dahinter gerichtet. Man konnte diese gänzliche Abwesenheit von allem nicht begreifen. Es hatte etwas Hypnotisches an sich, man schaffte es nicht, wegzusehen. Und auch nicht, vernünftig nachzudenken. Deshalb dauerte es einen Augenblick, bis ich meine Grübeleien so weit sortiert hatte, dass ich zu sprechen begann.
    »Es geht um das Nichts«, sagte ich langsam. »Und den Ascheregen. Und die Erdbeben. Ich glaube, sie haben etwas mit mir zu tun.«
    Marians Kopf schnellte zu mir herum. Ich fuhr mit der Zunge über meine Lippen. »Es ist seltsam, ich habe jedes Mal ein komisches Gefühl, wenn was passiert.

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