Nacht aus Rauch und Nebel
und? Es bleibt ja in der Familie.« Wie selbstverständlich ergriff er meine Hand und zog mich mit sich in die Küche. »Hast du Hunger? Ich koche gerade italienisch.«
Ich betrachtete die Pappschachtel der Tiefkühlpizza auf der Arbeitsplatte und nickte, während sich im Wohnzimmer irgendein Sänger die Seele aus dem Leib shoutete. Irgendwie hatte die Aussicht auf eine warme Mahlzeit in Gesellschaft von Linus etwas Tröstliches. »Aber die Musik geht gar nicht.«
11
RACHE
In dieser Nacht glitt ich in einen unruhigen Schlaf und eine noch viel unruhigere Schattenwelt hinüber. Denn in dieser Nacht erschienen Schattenreiter vor den Toren Notre-Dames und verlangten nach mir.
Ich war gerade beim Dämmerungstraining, als man mich auf den Platz vor der Kathedrale hinausrief, wo vier der geflügelten Monster samt Reitern mich erwarteten. Ohne mit der Wimper zu zucken, trat ich ihnen entgegen.
»Sie hatten nach mir gefragt?«
»Ihr Vater schickt uns, Hoheit. Wir müssen los, sonst kommen Sie noch zu spät zu Ihrer eigenen Rede«, erklärte einer der Reiter mit zuckendem Gesicht. Seine Kollegen ruckten zustimmend die Köpfe. Anscheinend litt die gesamte Brut unter dem gleichen nervösen Tick.
Ich seufzte. Ich hatte gar nicht mehr an die Eröffnungsfeier des Aquariums und meine alberne Ansprache gedacht. Aber natürlich, das war für heute geplant gewesen. Mist! Ich schloss die Augen und atmete tief durch. »Richten Sie meinem Vater aus, dass ich –«
Leider verhindert bin, hatte ich sagen wollen, doch dazu kam ich nicht mehr, weil sich in diesem Moment zwei der Schattenreiter auf mich stürzten und nach meinen Armen und Beinen grapschten.
Ich schrie auf, verpasste dem einen Angreifer einen deftigen Tritt in den Schritt und schaffte es, mich loszureißen. Dann ging ich in Kampfposition und verwandelte mich binnen Sekunden in ein wirbelndes Knäuel aus Fäusten und Stiefeln. In den vergangenen Monaten hatte ich tatsächlich so einiges dazugelernt. Mühelos gelang es mir, die beiden Schattenreiter in Schach zu halten. Fast fand ich es ein bisschen schade, dass Madame Mafalda nicht sah, wie ich mich verteidigte. Sie wäre stolz auf mich gewesen. Zumindest bis zu dem Punkt, an dem sich der dritte und vierte Schattenreiter ins Kampfgetümmel stürzten. Auch da wünschte ich mir die Schwester des Großmeisters noch sehnlichst herbei, allerdings nicht als Zuschauerin, sondern damit sie mich rettete. Mafalda Grindeaut oder irgendjemand, ganz egal.
Noch einmal schrie ich, dieses Mal jedoch um Hilfe. Gegen alle vier zusammen hatte ich keine Chance. Es überraschte mich daher nicht, dass die Reiter mich mit vereinten Kräften binnen weniger Sekunden überwältigten. Zwar zeigten meine Schreie Wirkung und mehrere Kämpfer strömten kurz darauf auf den Platz hinaus, allerdings erst, als mich die Schattenreiter bereits jeweils an einem Arm oder Bein festhielten und mit sich in schwindelerregende Höhe nahmen.
Mit kräftigen Flügelschlägen zerschnitten die Pferde den schwarzen Himmel. Eisiger Wind zerrte an meinen Kleidern und Haaren und noch immer kreischte ich. Nur zu zappeln, traute ich mich nicht mehr, aus Angst, in die Tiefe zu stürzen.
Die Männer des Eisernen Kanzlers brachten mich auf direktem Weg zum Buckingham-Palast, in dessen Innenhof sie wenige Minuten später landeten. Ohne Umschweife warfen sie mich in eine bereitstehende Kutsche, deren Bock das fürstliche Wappen zierte, und verriegelten die Tür. In der nächsten Sekunde setzte sich das pferdelose Gefährt von allein in Bewegung und holperte den Grind hinab in Richtung Graldingen, während ich in seinem Innern hockte, die Arme vor der Brust verschränkt und schäumend vor Wut. Ich schnaubte, als mein Blick auf den gegenüberliegenden Sitz fiel, wo man mir ein Abendkleid voller Rüschen und eine glitzernde Tiara bereitgelegt hatte. Ich ignorierte diese eindeutige Aufforderung und harrte stattdessen in meiner Trainingskleidung der Dinge, die da kamen.
Die Kutschfahrt dauerte etwa eine halbe Stunde. Weil der Wagen keine Fenster hatte, konnte ich allerdings kaum ausmachen, wo ich mich befand. Einmal hörte ich das Rauschen des Flusses. Das Geräusch ging jedoch kurz darauf im Jubeln und Klatschen einer Menschenmenge unter, das immer weiter anschwoll, bis die Kutsche schließlich stehen blieb.
»Ihre Hoheit, Prinzessin Flora«, verkündete ein Hofmarschall und rief damit erneute Beifallsstürme hervor.
Dann wurde die Tür geöffnet und die behandschuhte Hand
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