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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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meines Vaters streckte sich mir entgegen. »Na endlich«, flüsterte er. »Wieso bist du nicht zum Palast gekommen? Wir waren doch verabredet. Und was soll dieser Aufzug?« Er deutete auf meine dunkle Hose und das verschwitzte Oberteil. Ich nahm an, dass meine Frisur nach meinem Kampf mit den Schattenreitern auch nicht gerade perfekt saß. Ich seufzte und nuschelte ein halbherziges: »Bitte entschuldige.«
    Mein Vater quittierte es mit einem Nicken.
    Vor den Pyramiden war ein schwarz glänzender Teppich ausgerollt worden, zu dessen beiden Seiten sich gut betuchte Wandernde mit Sektgläsern in den Händen versammelt hatten. Ganz so viele, wie ich dem Jubel nach angenommen hatte, waren es allerdings doch nicht. Vermutlich hatten die meisten Leute ohnehin gerade Besseres zu tun, als zu einer Aquariumseröffnung zu gehen. Einen sicheren Wohnplatz fernab vom Nichts zu finden zum Beispiel. Ich grollte noch immer vor mich hin, während mein Vater mich vorbei an den Zuschauern bis zum neu gestalteten Eingang der Pyramiden führte, wo er eine Schere aus seiner Manteltasche zückte und ein seidenes Band durchtrennte.
    Das Publikum applaudierte, eine kleine Kapelle, die erstaunlicherweise vom Eisernen Kanzler höchstselbst dirigiert wurde, spielte auf. Ich schüttelte den Kopf. Als musikalisch hatte ich meinen Erzfeind nun wirklich nicht eingeschätzt. Was für ein Theater! Vor allem tat mir leid, was man den Pyramiden angetan hatte, denn die altehrwürdigen Gebäude waren kaum wiederzuerkennen. Man hatte den Sandstein mit einer glänzenden Schicht überzogen, von der ich nicht sagen konnte, ob es sich um Plexiglas oder Lack handelte. Zwar hoben sich die dreieckigen Bauten noch immer scharfkantig vor dem Himmel Eisenheims ab, doch wirkten sie heute eher futuristisch als altertümlich. Unter dem Meer, stand in schillernden Lettern auf einer der Seitenflächen geschrieben und noch einmal auf einem Schild über der Tür, durch die wir nun schritten.
    Auch drinnen hatte sich einiges verändert. Inzwischen waren die Aquarien, die ich bei meinem Besuch vor einigen Nächten noch im Rohzustand gesehen hatte, mit Wasser gefüllt, bepflanzt und bevölkert worden. Der gesamte Innenraum war von einem diffusen Licht erfüllt, das an Sonnenstrahlen auf einer sich bewegenden Wasseroberfläche erinnerte. Am faszinierendsten allerdings waren die Bewohner der gläsernen Becken selbst, denn es waren Wesen, die ich niemals zuvor gesehen hatte. Fische mit glitzernden Schuppen und menschlichen Gesichtern, durchsichtige Kraken, die aus einer gallertartigen Masse zu bestehen schienen und alle paar Sekunden ihre Form änderten. Und Meerjungfrauen mit Mäulern voller Reißzähne. Ich vermutete, dass die realen Pendants dieser Wesen im Laden meines Vaters lebten.
    »Fantastisch, nicht wahr«, sagte mein Vater und strahlte mich an. Anscheinend hatte er seinen Ärger über meine Verspätung bereits wieder vergessen.
    Ich konnte nicht anders, als zu nicken. Am liebsten wäre ich in Ruhe zwischen den Aquarien umhergewandelt und hätte mir all diese fremdartigen Lebewesen angesehen. Ob ich wollte oder nicht, in einem Punkt musste ich meinem Vater recht geben: Dies war ein Ort, an dem man seine Sorgen vergessen konnte. Die Frage war bloß, ob das die Lösung war.
    Mein Blick hing am schillernden Panzer eines Schalentiers, das mich entfernt an eine lebende Halskette erinnerte. Gerne hätte ich meinen Vater danach gefragt, aber das ging natürlich nicht. Erst einmal war da diese blöde Rede, die ich halten sollte und auf die ich mich überhaupt nicht vorbereitet hatte.
    Wir stiegen die neue Wendeltreppe hinauf und traten auf den Balkon über dem Eingang, mein Vater, der Eiserne Kanzler und ich. Wieder spielte die Kapelle auf, kaum dass wir einen Fuß ins Freie gesetzt hatten. Dieses Mal wurde sie jedoch von einem anderen Dirigenten geleitet, einem Wandernden, der mich entfernt an Mick Jagger erinnerte.
    »Lächeln und winken«, raunte der Kanzler mir zu. Er hatte sich zu meiner Linken positioniert und tat ebendies, während mein Vater zu meiner Rechten dem Volk huldvoll zunickte. Mir fiel auf, wie fröhlich beide Männer heute wirkten. Bei meinem Vater war das verständlich, er bekam sein heiß geliebtes Aquarium. Aber was versetzte den Kanzler in eine derartige Hochstimmung, dass er neben mir sogar leicht auf den Zehen auf und ab wippte? Er war schon bei unserer letzten Begegnung so auffällig gut gelaunt gewesen.
    Widerwillig hob ich einen Arm und winkte so,

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