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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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Nichts?«
    »Ich erkläre es dir später.«
    Marian schüttelte den Kopf. »Warum willst du zum N–«
    Doch da lagen meine Lippen bereits wieder auf seinen und verhinderten, dass er weitersprach. Wieder küssten wir uns und das war alles, was zählte, während Wolkenfetzen um unsere Köpfe wirbelten und unsere Sorgen und Zweifel davontrugen.
    Das Donnergrollen entfernte sich, die Blitze wurden seltener. Irgendwann verwandelte sich der Regen in kleine Kugeln aus Eis, die als Hagel auf uns niederprasselten.
    Marian zog mich aus der Wolke.
    Ich folgte ihm.
    Hand in Hand schwebten wir durch die Dunkelheit dem Erdboden entgegen. Die Dächer wurden wieder größer, das Licht der Straßenlaternen schwoll an. Autos malten leuchtende Spuren in den Straßen. Lautlos schlüpften Marian und ich durch das Mauerwerk hinein in die Küche, die verlassen und dunkel dalag. Auf den Stühlen erkannte ich schemenhaft unsere Körper, Marians und meinen, reglos, wie tot. Aus dem Wohnzimmer war wieder einer von Christabels Actionfilmen zu hören.
    Einen Augenblick lang betrachteten wir unsere müden Gestalten.
    »Von jetzt an stehen wir das zusammen durch«, versprach er noch einmal.
    »Ja«, sagte ich, aber es klang noch immer wie eine Frage. Es wollte mir nicht in den Kopf, dass er mich nicht länger auf Abstand hielt.
    Marian betrachtete mich mit zusammengeschobenen Brauen. »Komm«, sagte er schließlich und deutete auf unsere realen Erscheinungen.
    Wir fuhren zurück in unsere Körper. Es war ein merkwürdiges Gefühl, als kehrte man heim und gleichzeitig in ein Gefängnis zurück. Stück für Stück verband sich meine Seele mit dem dazugehörigen Fleisch und Blut, von den Zehenspitzen bis zum Haaransatz kroch ich in mich selbst hinein, eroberte Muskeln und Sehnen und Nerven zurück. Ich hatte es schon so oft getan, dennoch war es für mich jedes Mal ein kleines Wunder, wieder zum Menschen zu werden.
    Wir blieben vorerst sitzen. Meine Finger strichen über die Kante des Sitzkissens unter mir, Marian starrte in seinen inzwischen eiskalten Pfefferminztee.
    »Und?«, fragte ich nach einer Weile. »Willst du Christabel nicht Bescheid geben, dass du die flüchtige Gefangene wieder eingekerkert hast?«
    Marian antwortete nicht, sondern sah mich nur an. Mit Daumen und Zeigefinger griff er nach einer Strähne meines Haares und zwirbelte sie zu einer Locke. »Du bist keine Gefangene«, sagte er.
    Ich zuckte mit den Achseln. »In der Schattenwelt schon.«
    »Wen interessiert schon die Schattenwelt?«, seufzte Marian. Ich hatte den Eindruck, als wolle er noch etwas hinzufügen, doch er tat es nicht. Stattdessen rückte er näher an mich heran und küsste mich schon wieder. Seine Lippen umspielten die meinen, wärmer dieses Mal. Vielleicht lag es daran, dass wir uns nicht mehr als Schatten in einer Gewitterwolke befanden. Vielleicht auch nicht. Was scherte es mich? Meine Hand bahnte sich ihren Weg unter Marians Pullover, strich über seine Brust. Unter den Fingerkuppen spürte ich seinen kräftigen Herzschlag, als Marian plötzlich zurückfuhr und mein Handgelenk festhielt.
    »Was ist?«, fragte ich außer Atem.
    Sein Blick schnellte zur Tür und ich verstand, denn nun hörte ich es auch: Dort waren Schritte auf dem Flur. Leichtfüßige, schnelle Schritte, die nicht nach Christabel klangen!
    Mit einem Hechtsprung war Marian bei der Tür und riss sie auf. Doch die Diele lag vollkommen still. Dort war niemand. Oder? Das Licht, das unter der Wohnzimmertür durchdrang, malte ein gezacktes Muster auf die Garderobe und die Kommode mit der Schale, in der wir unsere Schlüssel aufbewahrten. Aber sonst?
    Wir durchsuchten die Wohnung, aber sie war leer, bis auf uns und Christabel, die auf der Couch eingeschlafen war. Und auch im Treppenhaus konnten wir niemanden finden.
    »Vielleicht haben wir es uns nur eingebildet«, sagte ich und merkte selbst, wie wenig überzeugend das klang.
    Marian schüttelte den Kopf. Er war noch bleicher als sonst, an seiner Schläfe pulsierte eine Ader. »Es reicht jetzt wirklich«, erklärte er. »Du und ich, wir werden etwas unternehmen. Heute Nacht.«
    »In Ordnung«, murmelte ich. »Wir müssen bloß zuerst ein paar Dinge herausfinden.«
    Marian presste die Lippen aufeinander, dann holte er tief Luft. »Flora«, sagte er. »Es gibt vielleicht eine andere Möglichkeit, die Seele meiner Schwester zu befreien.«
     
    Es war merkwürdig, an was man sich alles erinnerte, wenn man an den Ort seiner Kindheit zurückkehrte, das

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